Bundeskanzler a.D. der Republik Österreich, Wien


Festliche Versammlung,
Herr Oberbürgermeister,
Lieber Lord Weidenfeld,


es ist ja nicht so selbstverständlich, dass ein ehemaliger Österreichischer Bundeskanzler eine Lobesrede auf George Weidenfeld halten darf, der immerhin aus seiner und meiner Heimat 1938 vertrieben worden ist. Und wenn es wahr ist, dass Kindheit und Jugend einen Menschen wirklich prägen, dann müsste doch heute ein griesgrämiger, verbitterter, einsam gewordener Herr unter uns sitzen nach all dem, was er erlebt hat in dieser Zeit. Das Gegenteil ist wahr, wenn man ihn anschaut. Er ist neugierig geblieben, er ist wach, er ist mutig, er ist kämpferisch, er ist überhaupt nicht einsam. Er ist umringt nicht nur von Frauen, sondern auch von jugendlichen sowie älteren Bewunderern, wie mir und vielen, die sich heute hier versammelt haben.


Er ist ja eigentlich auch ein physisches Wunder. Er gehört zu dieser wunderbaren Truppe der reiferen Semester, wie Helmut Schmidt und Henry Kissinger, denen man überhaupt nicht anmerkt, dass sie altern.

Dem Psalmisten ist längst Hohn gestraft, der davon spricht, dass unser Leben gerade einmal  70 währt, wenn es hochkommt 80. Und wenn es denn köstlich war dann war es ja höchstens Mühe und Arbeit. Nichts davon merkt man ihm an. Er ist unermüdlich, einer, der jung geblieben ist bis ins hohe Alter.


Nun zur Kindheit. Er wurde 1920 in Wien geboren als junger Arthur Weidenfeld. Und dieses Wien muss man sich vorstellen: Es ist damals, 1920, abgestürzt aus den imperialen Höhen. Vollgepackt mit Flüchtlingen aus der ehemaligen Habsburger Monarchie voll schwirrend von Emotionen, Visionen und unausgegorenen Gedanken. Aus der Peripherie sind vor allem viele Flüchtlinge in dieses Wien hineingekommen und haben eigentlich nicht gewusst wie es weitergehen wird. Der Vater von Arthur Weidenfeld war ein liberaler Jude aus Tschernowitz, einen Kilometer entfernt von der heutigen ungarisch-rumänischen Grenze. Die Mutter aus einer vornehmen Familie, die den höchstrangigen Rabbiner hervorgebracht hat und sehr stark in ihrer Tradition verwurzelt war. In diese Familie wird Arthur Weidenfeld hineingeboren und erlebt alles mit, was sich in diesen Wirren, in diesem Mahlstrom der ersten Republik in Österreich abspielt.


Es gibt ja eigentlich unglaubliche Parallelen: Österreich war zahlungsunfähig und wir mussten damals eine Völkerbundanleihe aufnehmen. Das hat sich aber  so abgespielt, dass ein Kommissar (der damalige Oberbürgermeister von Rotterdam) in Wien saß und jede einzelne Ausgabenposition gegenzeichnete. Soviel zum Thema Souveränität, und jeder Vergleich zu heute verbietet sich natürlich, aber dieses Kind hat das alles damals miterlebt: den brennenden Justizpalast 1927 mit Zehntausenden Demonstranten, die von der Polizei niedergeschlagen wurden, die Massenarbeitslosigkeit 1929, er hat erlebt, wie die Demokratie von Dollfuß ausgeschaltet wurde, er hat erlebt, wie die Nazis immer stärker wurden und den Ständestaat bedroht haben, der sich auf Mussolini verlassen hat. Er hat erlebt, wie Hitler 1938 einmarschiert ist, einen Tag bevor die Volksabstimmung über die eigentliche Unabhängigkeit der Republik Österreich hätte stattfinden sollen. Ich erzähle das deshalb, weil es erklärt, warum sich die Sinne der Beobachtung des jungen Weidenfelds damals geschärft haben. Man musste natürlich ganz genau beobachten, wie es um einen herum geht. Zum Beispiel hat man am Grüßen die politische Richtung erkannt. (…)


Natürlich wurde die Identität in dieser Zeit zu einer ganz wichtigen Frage. Wer die Heimat verliert, ist eigentlich lebenslang auf der Suche nach seiner Identität. Und bei Georg Weidenfeld sehen Sie ja viele Identitäten. Es gibt ja einen Bestseller „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“. Und das stimmt natürlich, was zu Teil auch über die Sprache definiert wird. Er spricht exzellent verschiedene Sprache: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und als Altphilologe Latein und Griechisch. (…) Und diese Identitäten haben dazu geführt, dass der junge Weidenfeld relativ früh dem Verband sozialistischer Mittelschüler beigetreten ist, später einer zionistischen Schülervertretung und später denn noch einer studentischen Couleur Verbindung mit dem Namen UNITAS. Das waren schlagende Verbindungen. Wer von Ihnen hätte angenommen, dass sich George Weidenfeld 1938 mit den Nazistudenten duelliert hat? Er war immer schon einer, der sich getraut hat diese Dinge zu tun.


Dann kam er zur BBC, um acht Stunden am Tag feindliche Rundfunksendungen abzuhören. Aber er ist natürlich sehr schnell aufgestiegen und hat seine eigenen Sendungen, seine eigenen Kommentare machen können und hat auch schon gleichzeitig in einzelnen Zeitungen geschrieben. Dann kann er in die legendäre Oxford Street 200 in das BBC Hauptquartier und hat da Kontakte zu den Exilregierungen knüpfen dürfen. Daher kam auch schon die Prägung mit Israel. Er war ja schon sehr früh dem zionistischen Gedanken gegenüber positiv aufgeschlossen. Und in England kam dann natürlich die Bekanntschaft mit Marks & Spencer, damals dem Hauptquartier zur Unterstützung eines jüdischen Staates, wo er 1947 zum Beispiel die ersten Kontakte mit Chaim Weitzman gemacht hat. Dort hat er miterlebt, wie am 15. Mai 1948 der junge israelische Staat ausgerufen wurde. Und sofort gab es natürlich die Gegenreaktion der Araber, die die Juden ins Meer werfen wollten. Dieses Leitmotiv, dieses sich kümmern um den Staat Israel auch in schwieriger Zeit war nicht immer so populär im Britischen Abgeordnetenhaus, und es war auch nicht immer so populär, das Richtige zu sagen, weil es in Israel auch manchmal ganz anders verstanden wurde als es gut gemeint war. (...)


Als er dann ins Oberhaus ernannt und in den Adelsstand erhoben wurde, hat er sich als Wahlspruch für sein Motto gewählt: „Die Waffen weichen der Verständigung“. Das ist die klassische Gabe, die er gehabt hat. Bei aller Bereitschaft zu verhandeln, hat er aber auch immer auf Werte, auf Grundsätze größten Wert gelegt.
Eine der wichtigen Linien will ich kurz nachzeichnen: die Versöhnung. Die Versöhnung zwischen Deutschland und Israel zum Beispiel war ihm ein ganz besonderes Anliegen. Als Helmut Kohl seine große Rede 1989 gehalten hat, die in England überhaupt nicht gut angekommen ist, war Weidenfeld derjenige, der in der Times einen glühenden Text pro Kohl und für die Wiedervereinigung verfasst hat. Das hat ihm eine Einladung in den Bungalow in Bonn eingetragen, und dort ist der jüdisch-deutsche Dialog geboren worden, den Horst Teltschik ausgeführt hat und der bis heute eine ganz wichtige Kategorie geblieben ist. Weidenfeld hat darüber dann einen Bericht nach Israel geschickt und hat darüber bei der Botschafterkonferenz sprechen dürfen, und es ist ein besonders wichtiger Bereich, der ihm zu verdanken ist.


Genauso wichtig war die Versöhnung zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum. Der Vatikan hatte keinen Botschafteraustausch mit Israel, und Weidenfeld hat sich immer eingesetzt für diesen Dialog, obwohl er immer ein sehr ambivalentes Verhältnis zur katholischen Kirche hatte. (…) Er war einer der ganz wenigen Laien, die die Chance hatten, bei diesen Runden in Castel Gandolfo mit Johannes Paul II zu diskutieren. [Der Papst] hat immer die Top-Leute zusammengeholt, Theologen, Philosophen, um immer auf dem Stand der Zeit zu sein.
Noch ein Thema ist für ihn – und für mich auch im Besonderen – sehr wichtig: er hat immer an Europa geglaubt. Und zwar an das größere Europa. (…) Für Ihn ist Europa immer ein Leuchtturm der Freiheit gewesen. Ein Leuchtturm, der den Menschen das Gefühl gibt, dass dieser Traum vom Frieden der Tapferen, einem sicheren Leben mit einer wettbewerbsstarken Wirtschaft und einem funktionierendem Sozialsystem erreichbar ist. Das ist nicht selbstverständlich, und Europa ist bei weitem nicht perfekt. Aber es ist etwas, das wichtig ist und was erzählt werden muss. Und Europa ist, glaube ich, nach wie vor eine gute Geschichte und Europa braucht auch gute Geschichtenerzähler. George Weidenfeld ist ein solcher Erzähler.


Was kann man von Ihm zum Schluss lernen? Er ist ein seltsamer Typ. Er fällt völlig aus der Zeit. Ich habe ihn nie mit einem Computer oder mit einem Handy telefonieren gesehen. Er sagt von sich selbst, dass er selbst noch nie eine E-Mail abgeschickt hat, aber er weiß mehr als so mancher Bibliothekar. Er kann nicht Autofahren, aber er kennt Zusammenhänge und ist informiert, wie wahrscheinlich nicht einmal der Secret Service oder die CIA. Es ist unglaublich, wo dieser Mann seine Quellen der Kraft und auch seine Quellen der Information her hat. Er ist einer, der Bücher und Zeitungen liebt, aber alles hasst, was die Niederungen des Boulevards betrifft. Es ist schon bei einer Medientagung, bei M100 sehr wichtig, dass der Kampf um die Trennlinie wie bei guter und schlechter Politik sich auch zwischen den Medien abspielt. Zwischen gutem, verantwortungsvollem, objektivem engagiertem, ehrlichem Journalismus und dem, bei dem es darum geht, Menschenjagt und Auflagen zu machen, Untergrenzen zu unterschreiten und nur auf die Quote zu achten. Das ist ein wichtiger Punkt, bei dem man von ihm lernen kann. Wie ein Elefant vergisst er nie etwas, aber es ist ein sehr faires, objektives gewissenhaftes Urteil, das ihm dann zu entlocken ist, und das sitzt dann aber auch.


Er ist auch für viele von uns ein Vorbild. Es wurde einmal geschrieben, dass das „Trust-Defizit“ viel gefährlicher ist als das „Budget-Defizit“, das wir in vielen Ländern heute haben. Das ist wichtig, denn die Ligatur unserer Demokratie und modernen Gesellschaften ist ja das Vertrauen. Wenn das unterminiert wird, gibt es wenig, was noch klebt, hält, festigt und bindet. Er ist einer, der Vertrauen verdient und der Vertrauen ausstrahlt. (…) Er ist ein Neugieriger geblieben, und ich glaube überhaupt, dass die Sehnsucht nach dem Neuen und zu ergründen, was am Neuen bewahrenswert sein wird, etwas ist, was man von ihm lernen kann und soll: Das „Think Big“, das Denken in größeren Zusammenhängen, dass Europa nicht an seinen Grenzen halt machen darf, sondern sich weltpolitisch engagieren und interessieren muss und ein Optimismus, der ungebrochen ist.
Sein Optimismus ist raffiniert, realistisch und vorsichtig, kein naiver Optimismus. Er vertraut eigentlich immer den Jungen. Das hat mir schon immer gefallen, und in diesem Sinn finde ich es auch toll, dass er den Jungen im Arabischen Frühling vertraut, aber zugleich auch einige Warnungen mit auf den Weg gibt, die er immer wieder in der „Welt“ und anderen Zeitungen publiziert. Es sind immer kleine kostbare Kunstwerke, funkelnd formuliert, die ich immer wieder mit Freude lese, und ich glaube, ich bin da nicht allein.
Wir gratulieren herzlichst, lieber George.

Wolfgang-Schuessel
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Festliche Versammlung,

Herr Oberbürgermeister,

Lieber Lord Weidenfeld,

Es ist ja nicht so selbstverständlich, dass ein ehemaliger Österreichischer Bundeskanzler eine Lobesrede auf George Weidenfeld halten darf, der immerhin aus seiner und meiner Heimat 1938 vertrieben worden ist. Und wenn es wahr ist, dass Kindheit und Jugend einen Menschen wirklich prägen, dann müsste doch heute ein griesgrämiger, verbitterter, einsam gewordener Herr unter uns sitzen nach all dem, was er erlebt hat in dieser Zeit. Das Gegenteil ist wahr, wenn man ihn anschaut. Er ist neugierig geblieben, er ist wach, er ist mutig, er ist kämpferisch, er ist überhaupt nicht einsam. Er ist umringt nicht nur von Frauen, sondern auch von jugendlichen sowie älteren Bewunderern, wie mir und vielen, die sich heute hier versammelt haben.

Er ist ja eigentlich auch ein physisches Wunder. Er gehört zu dieser wunderbaren Truppe der reiferen Semester, wie Helmut Schmidt und Henry Kissinger, denen man überhaupt nicht anmerkt, dass sie altern.

Dem Psalmisten ist längst Hohn gestraft, der davon spricht, dass unser Leben gerade einmal  70 währt, wenn es hochkommt 80. Und wenn es denn köstlich war dann war es ja höchstens Mühe und Arbeit. Nichts davon merkt man ihm an. Er ist unermüdlich, einer, der jung geblieben ist bis ins hohe Alter.

Nun zur Kindheit. Er wurde 1920 in Wien geboren als junger Arthur Weidenfeld. Und dieses Wien muss man sich vorstellen: Es ist damals, 1920, abgestürzt aus den imperialen Höhen. Vollgepackt mit Flüchtlingen aus der ehemaligen Habsburger Monarchie voll schwirrend von Emotionen, Visionen und unausgegorenen Gedanken. Aus der Peripherie sind vor allem viele Flüchtlinge in dieses Wien hineingekommen und haben eigentlich nicht gewusst wie es weitergehen wird. Der Vater von Arthur Weidenfeld war ein liberaler Jude aus Tschernowitz, einen Kilometer entfernt von der heutigen ungarisch-rumänischen Grenze. Die Mutter aus einer vornehmen Familie, die den höchstrangigen Rabbiner hervorgebracht hat und sehr stark in ihrer Tradition verwurzelt war. In diese Familie wird Arthur Weidenfeld hineingeboren und erlebt alles mit, was sich in diesen Wirren, in diesem Mahlstrom der ersten Republik in Österreich abspielt.

Es gibt ja eigentlich unglaubliche Parallelen: Österreich war zahlungsunfähig und wir mussten damals eine Völkerbundanleihe aufnehmen. Das hat sich aber  so abgespielt, dass ein Kommissar (der damalige Oberbürgermeister von Rotterdam) in Wien saß und jede einzelne Ausgabenposition gegenzeichnete. Soviel zum Thema Souveränität, und jeder Vergleich zu heute verbietet sich natürlich, aber dieses Kind hat das alles damals miterlebt: den brennenden Justizpalast 1927 mit Zehntausenden Demonstranten, die von der Polizei niedergeschlagen wurden, die Massenarbeitslosigkeit 1929, er hat erlebt, wie die Demokratie von Dollfuß ausgeschaltet wurde, er hat erlebt, wie die Nazis immer stärker wurden und den Ständestaat bedroht haben, der sich auf Mussolini verlassen hat. Er hat erlebt, wie Hitler 1938 einmarschiert ist, einen Tag bevor die Volksabstimmung über die eigentliche Unabhängigkeit der Republik Österreich hätte stattfinden sollen. Ich erzähle das deshalb, weil es erklärt, warum sich die Sinne der Beobachtung des jungen Weidenfelds damals geschärft haben. Man musste natürlich ganz genau beobachten, wie es um einen herum geht. Zum Beispiel hat man am Grüßen die politische Richtung erkannt. (…)

Natürlich wurde die Identität in dieser Zeit zu einer ganz wichtigen Frage. Wer die Heimat verliert, ist eigentlich lebenslang auf der Suche nach seiner Identität. Und bei Georg Weidenfeld sehen Sie ja viele Identitäten. Es gibt ja einen Bestseller „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“. Und das stimmt natürlich, was zu Teil auch über die Sprache definiert wird. Er spricht exzellent verschiedene Sprache: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und als Altphilologe Latein und Griechisch. (…) Und diese Identitäten haben dazu geführt, dass der junge Weidenfeld relativ früh dem Verband sozialistischer Mittelschüler beigetreten ist, später einer zionistischen Schülervertretung und später denn noch einer studentischen Couleur Verbindung mit dem Namen UNITAS. Das waren schlagende Verbindungen. Wer von Ihnen hätte angenommen, dass sich George Weidenfeld 1938 mit den Nazistudenten duelliert hat? Er war immer schon einer, der sich getraut hat diese Dinge zu tun.

Dann kam er zur BBC, um acht Stunden am Tag feindliche Rundfunksendungen abzuhören. Aber er ist natürlich sehr schnell aufgestiegen und hat seine eigenen Sendungen, seine eigenen Kommentare machen können und hat auch schon gleichzeitig in einzelnen Zeitungen geschrieben. Dann kann er in die legendäre Oxford Street 200 in das BBC Hauptquartier und hat da Kontakte zu den Exilregierungen knüpfen dürfen. Daher kam auch schon die Prägung mit Israel. Er war ja schon sehr früh dem zionistischen Gedanken gegenüber positiv aufgeschlossen. Und in England kam dann natürlich die Bekanntschaft mit Marks & Spencer, damals dem Hauptquartier zur Unterstützung eines jüdischen Staates, wo er 1947 zum Beispiel die ersten Kontakte mit Chaim Weitzman gemacht hat. Dort hat er miterlebt, wie am 15. Mai 1948 der junge israelische Staat ausgerufen wurde. Und sofort gab es natürlich die Gegenreaktion der Araber, die die Juden ins Meer werfen wollten. Dieses Leitmotiv, dieses sich kümmern um den Staat Israel auch in schwieriger Zeit war nicht immer so populär im Britischen Abgeordnetenhaus, und es war auch nicht immer so populär, das Richtige zu sagen, weil es in Israel auch manchmal ganz anders verstanden wurde als es gut gemeint war. (...)

Als er dann ins Oberhaus ernannt und in den Adelsstand erhoben wurde, hat er sich als Wahlspruch für sein Motto gewählt: „Die Waffen weichen der Verständigung“. Das ist die klassische Gabe, die er gehabt hat. Bei aller Bereitschaft zu verhandeln, hat er aber auch immer auf Werte, auf Grundsätze größten Wert gelegt.

Eine der wichtigen Linien will ich kurz nachzeichnen: die Versöhnung. Die Versöhnung zwischen Deutschland und Israel zum Beispiel war ihm ein ganz besonderes Anliegen. Als Helmut Kohl seine große Rede 1989 gehalten hat, die in England überhaupt nicht gut angekommen ist, war Weidenfeld derjenige, der in der Times einen glühenden Text pro Kohl und für die Wiedervereinigung verfasst hat. Das hat ihm eine Einladung in den Bungalow in Bonn eingetragen, und dort ist der jüdisch-deutsche Dialog geboren worden, den Horst Teltschik ausgeführt hat und der bis heute eine ganz wichtige Kategorie geblieben ist. Weidenfeld hat darüber dann einen Bericht nach Israel geschickt und hat darüber bei der Botschafterkonferenz sprechen dürfen, und es ist ein besonders wichtiger Bereich, der ihm zu verdanken ist.

Genauso wichtig war die Versöhnung zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum. Der Vatikan hatte keinen Botschafteraustausch mit Israel, und Weidenfeld hat sich immer eingesetzt für diesen Dialog, obwohl er immer ein sehr ambivalentes Verhältnis zur katholischen Kirche hatte. (…) Er war einer der ganz wenigen Laien, die die Chance hatten, bei diesen Runden in Castel Gandolfo mit Johannes Paul II zu diskutieren. [Der Papst] hat immer die Top-Leute zusammengeholt, Theologen, Philosophen, um immer auf dem Stand der Zeit zu sein.

Noch ein Thema ist für ihn – und für mich auch im Besonderen – sehr wichtig: er hat immer an Europa geglaubt. Und zwar an das größere Europa. (…) Für Ihn ist Europa immer ein Leuchtturm der Freiheit gewesen. Ein Leuchtturm, der den Menschen das Gefühl gibt, dass dieser Traum vom Frieden der Tapferen, einem sicheren Leben mit einer wettbewerbsstarken Wirtschaft und einem funktionierendem Sozialsystem erreichbar ist. Das ist nicht selbstverständlich, und Europa ist bei weitem nicht perfekt. Aber es ist etwas, das wichtig ist und was erzählt werden muss. Und Europa ist, glaube ich, nach wie vor eine gute Geschichte und Europa braucht auch gute Geschichtenerzähler. George Weidenfeld ist ein solcher Erzähler.

Was kann man von Ihm zum Schluss lernen? Er ist ein seltsamer Typ. Er fällt völlig aus der Zeit. Ich habe ihn nie mit einem Computer oder mit einem Handy telefonieren gesehen. Er sagt von sich selbst, dass er selbst noch nie eine E-Mail abgeschickt hat, aber er weiß mehr als so mancher Bibliothekar. Er kann nicht Autofahren, aber er kennt Zusammenhänge und ist informiert, wie wahrscheinlich nicht einmal der Secret Service oder die CIA. Es ist unglaublich, wo dieser Mann seine Quellen der Kraft und auch seine Quellen der Information her hat. Er ist einer, der Bücher und Zeitungen liebt, aber alles hasst, was die Niederungen des Boulevards betrifft. Es ist schon bei einer Medientagung, bei M100 sehr wichtig, dass der Kampf um die Trennlinie wie bei guter und schlechter Politik sich auch zwischen den Medien abspielt. Zwischen gutem, verantwortungsvollem, objektivem engagiertem, ehrlichem Journalismus und dem, bei dem es darum geht, Menschenjagt und Auflagen zu machen, Untergrenzen zu unterschreiten und nur auf die Quote zu achten. Das ist ein wichtiger Punkt, bei dem man von ihm lernen kann. Wie ein Elefant vergisst er nie etwas, aber es ist ein sehr faires, objektives gewissenhaftes Urteil, das ihm dann zu entlocken ist, und das sitzt dann aber auch.

Er ist auch für viele von uns ein Vorbild. Es wurde einmal geschrieben, dass das „Trust-Defizit“ viel gefährlicher ist als das „Budget-Defizit“, das wir in vielen Ländern heute haben. Das ist wichtig, denn die Ligatur unserer Demokratie und modernen Gesellschaften ist ja das Vertrauen. Wenn das unterminiert wird, gibt es wenig, was noch klebt, hält, festigt und bindet. Er ist einer, der Vertrauen verdient und der Vertrauen ausstrahlt. (…) Er ist ein Neugieriger geblieben, und ich glaube überhaupt, dass die Sehnsucht nach dem Neuen und zu ergründen, was am Neuen bewahrenswert sein wird, etwas ist, was man von ihm lernen kann und soll: Das „Think Big“, das Denken in größeren Zusammenhängen, dass Europa nicht an seinen Grenzen halt machen darf, sondern sich weltpolitisch engagieren und interessieren muss und ein Optimismus, der ungebrochen ist.

Sein Optimismus ist raffiniert, realistisch und vorsichtig, kein naiver Optimismus. Er vertraut eigentlich immer den Jungen. Das hat mir schon immer gefallen, und in diesem Sinn finde ich es auch toll, dass er den Jungen im Arabischen Frühling vertraut, aber zugleich auch einige Warnungen mit auf den Weg gibt, die er immer wieder in der „Welt“ und anderen Zeitungen publiziert. Es sind immer kleine kostbare Kunstwerke, funkelnd formuliert, die ich immer wieder mit Freude lese, und ich glaube, ich bin da nicht allein.

Wir gratulieren herzlichst, lieber George.