Bedeutung und Folgen für traditionelle Medien

 

Keynote: Fathy Abou Hatab (Managing Editor, Al Masry Al-Youm, Kairo)

 

Host: Astrid Frohloff (TV Moderatorin und Journalistin, ARD/Reporter ohne Grenzen, Berlin)

 

Panel: Fathy Abou Hatab (Managing Editor, Al Masry Al-Youm, Kairo), Mikhail Fishman (Korrespondent GUS / Russland, Die Welt, Moskau) Christopher Walker (Director of Studies, Freedom House, New York), Jillian C. York (Director of International Freedom of Expression, Electronic Frontier Foundation, San Francisco), Bernhard Zand (stellv. Leiter des Auslandsressorts, Der Spiegel, Hamburg)

 

Fathy Abou Hatab erinnerte das Publikum zu Beginn seiner Keynote daran, dass sich der Tahrir Platz im Zuge der Proteste Anfang dieses Jahres in eine Live-Version eines sozialen Netzwerkes verwandelte:

„Soziale Netzwerke bestimmten unser Denken, unser Verhalten, unsere Arbeit, unsere Herangehensweise an alltägliche Herausforderungen, unseren Austausch von Erfahrungen. Ich entdeckte, dass der Tahrir Platz einem sozialen Netzwerk ähnelte, da sich dort Menschen mit verschiedensten Hintergründen versammelten und sich entschlossen, Dinge miteinander zu teilen; sie entschlossen sich, sich in verschiedene Gruppen aufzuteilen, denen man beitreten oder die man verlassen konnte. Diese Ereignisse verleiteten mich dazu, noch einmal darüber nachzudenken, was Medien tatsächlich heutzutage sind.“

 

Fathy Abou Hatab betonte die Wichtigkeit der sich entwickelnden Medien mit Hinblick darauf, wie sie interaktive Kommunikation ermöglichen und somit demokratische Rechte stärken. „Es ist nicht nur Information – es ist das eigene Recht, zu kommentieren, seine eigenen Medien zu produzieren und Journalisten zu korrigieren. Wir sprechen hier von einer neuen Kultur.“ Die Entwicklung von Medien, die demokratische Werte in sich vereinen, war besonders relevant in einem Land, dessen Bevölkerung sich dem Versagen traditioneller Medien gegenüber sah. „Es existierten dort nicht nur inhaltliche Beschränkungen, sondern vielmehr versagten diese Medien auch darin, die Demokratie zu fördern und die Bevölkerung aufzuklären. Die Medien bestanden den demokratischen Test nicht, da sie durch die autokratischen Regimes unserer Länder kontrolliert und zensiert wurden. Die Menschen wussten die Ankunft des Internets nicht nur zu schätzen. Sie hatten darauf gewartet.“

 

Die Chance, die in der Verbreitung von Informationen durch soziale Netzwerke besteht, verdeutlicht sich vor allem, wenn man bedenkt, dass nur eine Million von 80 Millionen Ägyptern regelmäßig Zeitungen kaufen. 25 Millionen hingegen nutzen das Internet. Davon nutzen 7 bis 8 Millionen Facebook.

 

Als Repräsentant traditioneller Medien ist das Fernsehen weiterhin eine wichtige Informationsquelle in eine Gesellschaft, die 40 Prozent Analphabeten aufweist. Das erste Panel des Tages hatte bereits beleuchtet, wie Aljazeera soziale Medien während der Aufstände nutzte. Laut Fathy Abou Hatab sei es auch in Zukunft wichtig, die Kluft zwischen traditionellen und neuen Medien zu schließen, besonders wenn es um den Demokratieaufbau ginge: „Die sich entwickelnden Medien bieten den Bürgen die Möglichkeit der Teilnahme. Wir können nun ebenfalls alle traditionellen Medien auf einem Gerät empfangen – Dank des Internets.“

 

Christopher Walker bot eine Analyse der Faktoren, die das Entstehen einer vitalen Kultur sozialer Medien in den arabischen Ländern und dem Nahen Osten begünstigten. „Ich würde argumentieren, dass dies zum Teil dadurch bedingt wurde, „dass diese Medien über die Jahre hinweg eine Alternative zur Stimme der Staatsmedien schufen; so wurde auch Aljazeera eine Alternative zu den Regierungsstimmen aus den arabischen Ländern und dem Nahen Osten. Ungeachtet dessen, was man von Aljazeeras politischer Linie hält: so etwas gab es nicht, bevor Aljazeera derartig einflussreich wurde und somit zum Reifungsprozess des politische Denkens und der politischen Landschaft beitrug.“

Er fügte hinzu, dass trotz der Tatsache, dass 80 Prozent der Weltbevölkerung nicht am digitalen Zeitalter teilhabe, die Wachstumsrate der Online-Medien phänomenal sei.

Mit der wachsenden Ausbreitung des Internets geht jedoch auch eine Ausbreitung der Internetzensur einher.

 

Zweifelsohne bedingt sich der Erfolg der sozialen Medien auch aus dem Mangel an Internetzensur in den arabischen Staaten und im Nahen Osten. Jillian C. York führte an, dass Regierungen einiger Länder, die sie in den letzten Jahren beobachtet hatte, versuchten, Zeitungen zu schließen, da „sie vermeintlich irgendeine grade aktuelle rote Linie übertreten hatten. In Antwort darauf verzeichneten die sozialen Medien einen Aufschwung. In Marokko ist das Internet relativ frei; der Internetzugang ist dort mit 35 Prozent relativ gut entwickelt. In diesen Ländern sind soziale Medien sehr gefragt.“

 

Allerdings spielt nicht nur die Rolle der Regierung in der Zensur und der Beeinflussung von Medien eine wichtige Rolle, es geht natürlich auch um das Verhalten und die Gesinnung der Konsumenten. Michael Fishman erklärte, dass das größte soziale Problem Russlands im mangelnden Vertrauen jeglichen Institutionen gegenüber bestünde, was sich auf traditionellen Journalismus auswirke. Einerseits läge darin sicherlich die Chance, dass von Bürgern geschaffene Inhalte von der Bevölkerung ernst genommen würden. Trotzdem bemerkte Fishman, dass der Großteil der Bevölkerung soziale Medien als Form des Eskapismus sähe. Er hält dies für einen wichtigen Grund, warum „soziale Netzwerke nicht als Antrieb einer Revolution [in Russland] fungieren.“

 

Es gibt trotzdem eine kleine, aktive Gruppe von Netznutzern, für die soziale Medien und Blogging zu wertvollen Informationsangeboten als Alternative zu den Inhalten der Mainstreammedien geworden sind. „Es ist extrem wichtig, dass wir soziale Medien in Russland nutzen können. Es ändert unsere Wahrnehmung der Ereignisse in Russland und der Welt dort draußen. Im Fernsehen werden keine Nachrichten im eigentlichen Sinne gezeigt, es ähnelt vielmehr sowjetischer Propaganda.“

 

Die Kernfrage im Gebrauch Nutzer-generierter Inhalte besteht immer darin, wie diese Informationen zu verifizieren sind. Jillian C. York erklärte, dass Journalisten sie manchmal darum bitten, eine bestimmte Quelle zu verifizieren. Sie selbst überprüft oft Blogs, um so herauszufinden, welche Quellen bekannt sind und ob ihnen vertraut werden kann.

 

Wie Bernhard Zand berichtete, bemüht sich Der Spiegel stets um die Prüfung von Informationen durch Korrespondenten in den entsprechenden Gebieten (wie dies auch neulich in Syrien der Fall war) oder dadurch, dass versucht wird, die Anbieter von Mobiltelefonnetzwerken in Kairo zu identifizieren. Natürlich können sich das nicht alle Nachrichtenproduzenten leisten.

Ägyptens auflagenstärkste Zeitung Al Masry Alyoum begegnet diesem Problem mit einer anderen Herangehensweise. Auf einer separaten Webseite wurden Inhalte publiziert, die von anderen Nutzern verifiziert werden konnten. Dabei liegt die Entscheidung, den Inhalten Glauben zu schenken, ebenfalls beim Nutzer. Diese Möglichkeit der aktiven Teilnahme im Nachrichtenprozess und die Option, von professionellen Journalisten erstellte Inhalte zu kommentieren, stellt vielleicht eine Lösung für das Problem des abnehmenden Interesse an Nachrichten dar.

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