ARE THE MEDIA DESTROYING EUROPE?

Auf dem Panel:
Anna Diamantopoulou, griechische Politikerin, ehemalige EU-Kommissarin, Präsidentin von DIKTIO – Netzwerk für Reformen in Griechenland und Europa, Griechenland
Simon Jenkins, Journalist, Autor, Vorstandsvorsitzender des National Trust in London, ehemaliger Herausgeber der London Times, Großbritannien
Tomasz Lis, Chefredakteur von Newsweek Polska und Moderator von „Tomasz Lis live", Polen
Annalisa Piras, Journalistin, Filmemacherin, Kommunikationsberaterin, ehemalige London-Korrespondentin für L'Espresso und Mitgründerin des TV-Senders Euronews, Italien
Ines Pohl, Chefredakteurin taz, Deutschland
Xavier Vidal-Folch, Stellvertretender Direktor von El País, ehemaliger Präsident des World Editors Forum und des Global Editors Network, Spanien

Moderation:
Tim Sebastian, mehrfach ausgezeichneter Interviewer, Erfinder der legendären BBC-Interviewreihe “Hardtalk” und aktuell Moderator der “New Arab Debates” bei Deutsche Welle TV.


Tim Sebastian eröffnete die live übertragene Debatte mit einem Zitat eines Beraters von Tony Blair, der ein Publikum fragte, ob es den Unterschied zwischen der Mafia und der Europäischen Union kenne. Leider bekam er keine Antwort. Der Berater erklärte daraufhin: „Die Mafia macht dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst, und die Europäische Union macht dir ein Angebot, das du nicht verstehst.“ Die M100 Debatte solle „ein wenig Licht in einen Bereich anhaltender europäischer Kontroversen bringen –  die Presse.“ Die Frage, die diese Diskussionsrunde behandeln solle, lautet: „Are the Media destroying Europe?“. Diese Fragestellung werde jedoch eine ganze Reihe weitere Fragen in die Debatte wie: „Wodurch wird überhaupt belegt, dass Europa zerstört wird? Haben sich alle Pressebarone und Medienkonzerne zusammengeschlossen, um das zu vollbringen, was zwei Weltkriege, ein Kalter Krieg und eine sukzessive Finanzkrise bis jetzt noch nicht geschafft haben? Oder zerstört Europa sich selbst? Sind die grundlegenden Fundamente der Europäischen Union fehlerhaft oder sind die Politiker nur unwillig, der Realität ins Gesicht zu blicken?“ Sebastian unterstrich, dass das Panel auch diskutieren solle, ob Europa nicht seine eigenen Medien zerstöre und bezog sich auf den Journalismus, der staatlichem Druck ausgesetzt ist, wie zum Beispiel in Bulgarien, Rumänien, Ungarn, in Großbritannien, Frankreich und Italien.

Auf der einen Seite des Panels saßen drei Teilnehmerinnen, die das Thema der Debatte bejahten und auf der anderen Seite drei Männer, die der Fragestellung nicht zustimmten.

Die Italienerin Annalisa Piras begann die Diskussion mit der These, dass nach ihrer Ansicht die Medien Europa zerstören. Sie wies allerdings darauf hin, dass nicht nur die Medien Europa zerstören, indem sie zur Desintegration beitrügen, sondern auch die nationalen Politiker. Ihrer Meinung nach sei das größte Problem, dass niemand die EU verstehen könne. In der Bevölkerung könne beobachtet werden, dass Anti-EU Gefühle aufkämen, dass Euroskepsis und euroskeptische Parteien in ganz Europa entstünden. Es könne kein Vertrauen entstehen, wenn man das System nicht verstehen würde. Sie fragte in die Runde: „Warum macht jeder Brüssel für etwas verantwortlich, wenn letzten Endes die Politiker der Mitgliedsstaaten diese Politik akzeptieren?“ In Bezug auf die Medien äußerte Piras, dass die Verantwortung der Medien sei, „den Menschen die Komplexität, die sie umgibt, verständlich zu machen.“ Dies sei eine Aufgabe für die Journalisten – nicht faul zu sein, sondern Verantwortung an den Tag zu legen. „Eine Demokratie ohne Informationen kann nicht existieren, und Informationen bedeuten Freiheit, aber man braucht fehlerfreie Informationen“, argumentierte sie.

Der stellvertretende Direktor von „El País“, Xavier Vidal-Folch, sah sich selbst in der Mitte zwischen beiden Standpunkten. Für ihn ist das größte Problem der EU, außer dem Nationalismus, „das Fehlen von Führungsqualitäten sowie egoistische Reaktionen in der Finanzkrise.“ Er machte den Nationalismus dafür verantwortlich, dass „Nachbarn sich als Fremde ansehen, Partner als Rivalen und Konkurrenten als Feinde. Wir sollten die Regierungen verantwortlich machen, weil sie weniger für Europa tun, als sie sollten.“ Populismus und Nationalismus müssten eliminiert werden, weil sie das Vertrauen zwischen Bürgern und Mitgliedsstaaten zerstören. Die Medien sollen die Prozesse in der EU erklären und nicht der populistischen Stimmung in Europa in die Hände spielen, so Vidal-Folch. Als Vertreter der Zeitung „El País“ wies er darauf hin, dass die Medien nicht die Lösung für die Krise seien, aber sie sollten auch nicht Teil des Problems sein. Er legte dar: „Der Nationalstaat in Europa ist im Niedergang, die Medien, die sich an einer nationalen öffentlichen Meinung orientieren, müssen einsehen, dass ihr Arbeitsbereich nun Europa und die Welt und die Globalisierung ist.“

Die ehemalige EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou beschuldigte die Medien, die auf europäischer Ebene agieren, einer „katastrophalen Rolle, die sie gespielt haben, um die Finanzkrise in eine existentielle Krise für Europa umzuwandeln“. Mit diesem Verhalten hätten sie „das europäische Projekt fast zum Entgleisen gebracht“. Ihrer Meinung nach sei das größte Problem, dass „kein europäischer Gemeinsinn (demos), keine europäische Sprache existiert“. Sie fragte auch, wie man die europäische Presse beschuldigen könne, Europa nicht zu unterstützen, wenn es gar nicht existiert. Die Medien selbst hätten eine sehr populistische Rolle gespielt, räumte sie ein. „Sie haben nationale Interessen gegen die europäischen (institutionellen) Interessen vertreten, aber den Menschen keine konkrete und klare Antwort gegeben“, so Diamantopoulou. Die Medien sollten verantwortlicher handeln und seriös berichten. Beispielsweise sollten die Medien sich in der Verantwortung sehen, die Rolle der Europäischen Kommission zu erklären. Mit einer ehrlichen Berichterstattung könnten die Menschen verstehen, dass nicht die Kommission das Problem sei, sondern die Mitgliedsstaaten, die entscheiden, was die Kommission zu tun und zu lasse habe. Das Problem läge bei der Einstimmigkeit und dass die Mitgliedsstaaten diese Bürokratie geschaffen haben.

Tomasz Lis kommentierte aus polnischer Sicht, dass zumindest in Polen die Mehrheit der Medien pro-europäisch eingestellt sei. Er äußerte die Meinung, dass die Medien überhaupt nichts zerstören würden und selbst wenn sie wollten, das nicht könnten, weil sie zu schwach seien. Er bezog sich dabei auf den Kampf der Medien in ganz Europa und wies drauf hin, dass die Medien zu beschäftigt mit ihrem eigenen Überleben seien, um eine anti-europäische Rolle zu spielen. Die Aufgabe der Medien sei es, zu folgen und zu beschreiben. Er lehne Schlagzeilen, die das Ende von Europa ankündigen, ab. Für ihn sei es „ein Teil des europäischen Projekts, das Recht auf Kritik auszuüben, wenn es einen Grund für Kritik gibt.“

Ines Pohl warf einen kritischen Blick auf die Medien. Zum einen „ist es nicht die Aufgabe der Medien, Europa zu unterstützen, ihre Aufgabe ist es, zu berichten und kritisch über Europa zu schreiben, aber nicht auf eine destruktive Art und Weise.“ Als erfahrene Chefredakteurin sehe sie auch, dass der einfachste Weg ein „reißerischer und sexy Titel“ sei. Außerdem sei es auf Grund der komplexen EU-Struktur schwierig für die Journalisten, diese Struktur zu erklären, wenn in manchen Redaktionen nur ein bis zwei Personen die Berichterstattung über Europa abdecken sollen. Deshalb sei der Weg, die Titelseiten mit populistischen Ideen und Ängsten zu füllen, derjenige mit dem geringsten Aufwand. Die Medien müssen eine hohe Auflage erzielen, mit Themen über Europa finde man jedoch kaum Abnehmer. Zum anderen brauche Europa eine intelligente Berichterstattung, aber der qualitativ hochwertige Journalismus sei von Tag zu Tag mehr unter Druck, was zu Lasten von gut recherchierten Nachrichten gehe. Die Medien sollen Alternativen für die Europäische Gemeinschaft aufweisen, gut und sorgfältig berichten, die Journalisten müssten kritisieren, allerdings mit Argumenten und nicht mit populistischer Angstmacherei. Die Europäer sollten über Gemeinsamkeiten reden, und die Medien könnten über gemeinsame Ideen, Kultur, Märkte berichten und vor allem die Unterschiede akzeptieren lernen.  Pohl möchte, dass die Medien ihre Perspektive erweitern und über den Tellerrand der „nationalen Interessen“ hinausschauen. Im Endeffekt „sind das auch unsere Interessen, dass Griechenland als ein Mitglied der Eurozone überlebt und die spanische Jugend Arbeitsplätze bekommt“, erklärte sie.

Der Journalist Simon Jenkins unterstrich seine Auffassung, dass die Medien Europa nicht zerstören. „Die Aufgabe eines Journalisten ist nicht, die Mächtigen mit Samthandschuhen anzufassen“, betonte er. Die Europäische Union habe sich drastisch verändert und sei abgekommen von „einem sehr guten Kurs, von einer guten Idee, einem guten Vertrag und einem sich entfaltenden Kooperationssystem hin zu einem ineffizienten, bürokratischen, teilweise korrupten Gebilde und dazu auch noch vollkommen distanziert von der Europäischen Öffentlichkeit.“ Die Presse solle weiterhin einen zutiefst skeptischen Ansatz gegenüber den Regierenden haben, die Europäischen Institutionen herausfordern, erklären und berichten.

Nach der Einführungsrunde und der Präsentation der Standpunkte wurden erste Kommentare und Fragen des Publikums gehört. So auch die Frage von Ekaterina Kuznetsova, Teilnehmerin des diesjährigen M100 Young European Journalists Workshop, an die Debattenteilnehmerinnen, ob sie wirklich davon überzeugt seien , dass die Medien Europa zerstören würden. Sie meinte, dass man nicht nur einer Seite die Schuld zuschieben könne und dass die Rolle eines Journalisten sei, zu hinterfragen und die Wahrheit aufzudecken. Sie stellte daraufhin das Thema der Debatte in Frage und sagte, dass eventuell Europa den Journalismus dadurch zerstören würde, dass keine Informationen weitergegeben würden.

Annalisa Piras antwortete, dass die meisten Informationen, die über Europa publiziert werden, schlichtweg nicht richtig seien und nicht das große Ganze beachten würden. Sie bezog sich dabei auf „anspruchslosen und faulen Journalismus, der unter dem Deckmantel die Mächtigen herauszufordern sich wandelt, hin zu einer anspruchslosen Einstellung nach dem Motto: Ich kann einen einfachen Schuß auf ein sitzendes Ziel abfeuern. Dieses Verhalten bezichtige ich der Unverantwortlichkeit.“ Zu zerstören, was wir aufgebaut haben und keinerlei Alternativen dafür aufzuzeigen, mache für sie keinen Sinn.
Tomasz Lis erläuterte noch einmal, dass die Medien mit ihrem Überleben beschäftigt seien, sie müssten verkaufen, und das lasse sich nur mit einer großen Story bewerkstelligen.
Ines Pohl ergänzte, dass Kritik nicht falsch, aber eine intelligente Berichterstattung notwendig sei.

Hella Pick, Senior Programme Associate am Institute for Strategic Dialogue in London, wollte die genaue Definition der Medien erfragen, über die debattiert wurde und schlug vor, Bürgerjournalisten nicht zu ignorieren. Sie wies auf die veränderte Medienszene hin und gab zu bedenken, dass „die Schwierigkeit zu berichten, was in der Europäischen Union vor sich geht und ein gewisses Verständnis zu kreieren, eine schwierige Aufgabe für alle Tageszeitungen ist.“ Sie kritisierte, dass es unmöglich sei, intelligente Informationen in die Medien von heute zu bringen.
Simon Jenkins kommentierte, dass die EU eine sehr bizarre Institution sei, in der keine Opposition, noch nicht einmal eine zweite Kammer existieren würde und die EU einen Ausgleich durch die Mitgliedstaaten und durch die Medien brauche.

Aus dem Publikum meldete sich Bertrand Pecquerie, CEO vom Global Editors Network, mit dem Kommentar, dass der Journalismus in derselben Krise sei wie die Politik. Zwischen der einfachen Bevölkerung und ihren Regierungen bestünde Misstrauen, und den Journalisten werde ebenso wenig getraut wie den Politikern. Aber heutzutage würden die Journalisten auch nicht die richtigen Fragen stellen. Fragen wie zum Beispiel, warum die Menschen sich von den traditionellen Medien abwenden und sich mehr den Social-Media-Plattformen zuwenden würden. Die Menschen seien verängstigt – aber die Medien spiegeln diese Panik nicht wider.

Ines Pohl machte deutlich, dass bis heute gute Zeitungen und hervorragende TV-Sender in Deutschland existieren und toller Journalismus auch immer noch in der Welt vorhanden sei. Sie unterstütze nicht die These, dass Journalismus dem Tode geweiht sei „aber wir stecken in einer Krise, und wir müssen uns klar darüber werden, wie wir erreichen können, dass hochwertiger Journalismus weiterhin bezahlt wird. Das könnte die Konklusion der Debatte sein.“ Und ergänzte, dass die Frage der Debatte ein wenig dumm sei.

Xavier Vidal-Folch sagte, dass der dritte wichtige Spieler der Bürger selbst sei. Er stimme mit Simon Jenkins überein, dass sich die Medien in Europa immer noch in einer guten Verfassung befinden. Aber wohlmöglich bereitete das Kommunikationssystem eine große Krise, eine finanzielle, eine persönliche und die Frage, was der Platz der Medien in der Welt sei.

Die Debatte endete mit einer Zuschauerbefragung. Zwei Drittel der Anwesenden  waren der Meinung, dass die Medien Europa NICHT zerstören.

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