MEDIA FREEDOM IN THE AGE OF BIG DATA

Data, Journalism and Surveillance

Die Frage nach der Zukunft von Journalismus und Medienfreiheit im Zeitalter von Big Data steht im Mittelpunkt des diesjährigen M100 Sanssouci Colloquiums. Im 10. Jahr seines Bestehens diskutieren Vertreter von Politik, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus dem In- und Ausland über damit einhergehende Chancen und Risiken, über die richtige Balance zwischen staatlicher Gefahrenabwehr und Achtung der Privatsphäre und über die Frage, wie die Politik mit der algorithmengetriebenen Beschleunigung der Gegenwart Schritt halten kann.

Die Enthüllungen über die Überwachungsprogramme der NSA und anderer Geheimdienste haben der Weltöffentlichkeit eindrucksvoll vor Augen geführt, dass die „digitale Revolution“ nicht nur individuelle Mediennutzungs- und Kommunikationsroutinen verändert hat. Deutlich wurde, dass die kommunikationstechnologischen Umbrüche der letzten Jahre neue gesellschaftliche, ökonomische, aber auch (geo-)politische Kontexte geschaffen haben. Das Netz ist in der Realpolitik angekommen. Und im Zeitalter von Big Data tun sich für unsere Gesellschaft ungeahnte Möglichkeiten, aber ebenso fundamentale Herausforderungen auf, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren.

Das unternehmerisch motivierte Sammeln und Auswerten von Nutzerdaten durch die großen Internetkonzerne gehört zu den Strukturmerkmalen der kommerziellen Nutzung des Internets. Das Ausspähen seiner Nutzer ist dem Silicon Valley-Visionär Jaron Lanier zufolge das „offizielle Hauptgeschäft der Informationsökonomie “ und Grundlage des rasanten Aufstiegs von Google und Facebook zu Wissens- und Datenkonzernen eines neuen Schlages, „makers of ‚everything’ in our digital lives“ (Pew Research Center for the People and the Press). Für die Nutzung vermeintlich kostenloser Services im Internet bezahlen wir mit unseren Daten. Doch erst mit den Enthüllungen über das systematische und flächendeckende Abgreifen von Daten durch staatlich-militärische Einrichtungen wurde deutlich, dass sich die vielbeschworene „Informationsgesellschaft“ faktisch auf dem Weg in eine Überwachungsgesellschaft befindet. Neben den Verheißungen, die die Entwicklung des Internets zur zentralen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Infrastruktur des 21. Jahrhunderts versprach, steht plötzlich ein Orwell’sches Schreckensszenario.

Die amerikanische Wissenschaftlerin Shoshana Zuboff schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der Geschichte fände sich "kaum etwas oder vielleicht gar nichts, das sich mit der gegenwärtigen Gefahr einer ungehemmten, den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Konzentration der Informationsmacht in weltweitem Maßstab vergleichen ließe.", die sich nicht nur auf Politik und Gesellschaft, sondern auch auf unser persönliches Verhalten auswirkt.

Davon unmittelbar berührt und gefährdet sind demokratische Grundwerte, allen voran Datenschutz sowie Meinungs- und Medienfreiheit. Eines der extremsten Beispiele ist sicher der Guardian, der als erstes Medium die Enthüllungen von Edward Snowden veröffentlichte und sich in der Folge mit massivem Druck seitens der britischen und amerikanischen Regierungen konfrontiert sah. Damit steht die britische Zeitung nicht alleine, und es stellt sich die Frage, wie groß in einzelnen Redaktionen und Verlagen der westlichen Welt mittlerweile die Selbstzensur ist und welche Auswirkungen das – etwa für Recherchen und den Schutz von Quellen – hat.

Reporter ohne Grenzen (ROG) hat in einem im März 2014 zum Welttag der Internetzensur veröffentlichten Bericht die NSA und ihr britisches Pendant GCHQ in die Liste der "Feinde des Internets" aufgenommen. Die Liste benennt weltweit 32 Institutionen und Behörden, die eine zentrale Rolle bei der Unterdrückung kritischer Stimmen und unerwünschter Informationen im Internet spielen: Geheimdienste und Ministerien, aber auch Internetanbieter und Regulierungsbehörden. Die zentrale Rolle von Behörden wie der NSA und dem GCHQ bei der flächendeckenden Überwachung von Millionen von Menschen wiegt laut ROG umso schwerer, als sie jeder westlichen Kritik an autoritären Staaten wie China, Saudi-Arabien und Turkmenistan den Wind aus den Segeln nimmt. "Wer selbst massenhaft Bürger ausspäht", so ROG, "kann andere Regierungen kaum glaubwürdig zu mehr Achtung im Internet drängen."
ROG, Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen haben sich jüngst zur Coalition Against Unlawful Surveillance Exports (CAUSE) zusammen geschlossen, um zu verhindern, dass Überwachungstechnik weiter in Diktaturen und repressive Systeme exportiert wird. Diese Überwachungen habe verheerende Auswirkungen auf die Existenz regimekritischer Menschen, so HRW-Deutschlanddirektor Wenzel Michalski, die mit europäischer Technik ausgespäht, geortet, verhaftet und nicht selten grausam gefoltert oder getötet werden.

Auch die Rolle der großen Internetkonzerne hat sich verändert: In der jüngeren Geschichte wurden sie bei Reform- und Demokratisierungsbestrebungen in autokratischen Ländern mit ihren sozialen Plattformen, die Kommunikation und die Mobilisierung einer großen Öffentlichkeit ermöglichten, als Katalysatoren demokratischer Bewegungen gefeiert. Jetzt stehen sie im Fokus des Überwachungsskandals, dessen Auswirkungen sie als das genaue Gegenteil jener freiheitlich-emanzipatorischen Ideale dazustehen lassen drohen, mit denen sie angetreten sind. Wie gehen sie damit um? Wie schaffen sie die Abwägung zwischen Kundenschutz, Geschäftsinteressen und staatlich-geheimdienstlicher Kontrolle?

Fest steht: Big Data ist vor allem ein Riesengeschäft: Laut einer Bitkom-Studie steigt der weltweite Umsatz mit Produkten rund um die Erfassung, Speicherung und Auswertung digitaler Daten in diesem Jahr auf rund 73,5 Milliarden Euro (Deutschland: knapp vier Milliarden Euro, Prognose für 2016: knapp 14 Milliarden Euro). Das entspricht weltweit einem Plus von 66 Prozent im Vergleich zu 2013. Im Jahr 2011 hat der Erlös noch knapp 24 Milliarden Euro betragen. Droht der Bürger mitsamt seinen Informationen in der vernetzten Informationsökonomie der Zukunft zur weitgehend entmachteten „Ware“ der großen Internetkonzerne zu werden, wie Jaron Lanier befürchtet?

Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, warnt jedenfalls vor „einer gefährlichen Verbindung von neoliberaler und autoritärer Ideologie“, wenn „der Bürger nur zum Wirtschaftsobjekt degradiert wird und der Staat ihn unter Generalverdacht stellt“. Die Kombination von Big Data und Big Government "könnte in die antiliberale, anti-soziale und antidemokratische Gesellschaft münden".

Andererseits haben wir uns alle an den bequemen Gebrauch von Daten gewöhnt, ob als Journalist oder als Privatbürger. So kritisiert der weißrussische Wissenschaftler und Autor Evgeny Morozov ("The Net Delusion") vor allem "die Monopolisierung von Macht durch Technik - und unseren naiven Umgang damit." Zu fragen ist also: Welcher Maßnahmen bedarf es, um Datenmissbrauch effektiv zu begegnen? Was müssen Medien- und Internetunternehmen tun, um ihre Kunden und Mitarbeiter vor Überwachung schützen? Welche Rolle werden hierbei Politik und Regulierung – national wie jenseits des Nationalstaats – zuteil? Welche Verantwortung trägt der einzelne Verbraucher, welche die Gesellschaft? Schließlich: wie muss eine gesellschaftlich wie ökonomisch tragfähige, Freiheitsrechte respektierende und Wachstum schaffende Informationsökonomie in Zeiten von Big Data gestaltet sein?

Obwohl sich laut einer aktuellen Studie der Deutschen Bank ("Big Data - Die ungezähmte Macht") die Entscheidungsträger durchaus im Klaren seien, "dass Big Data mittel- bis langfristig ein Thema mit hoher strategischer Relevanz und lukrativen Wachstumschancen ist, mangelt es in vielen Fällen an geeigneten Digitalisierungsstrategien, geschultem Personal für die neuen Herausforderungen sowie den notwendigen adäquaten Management-Kompetenzen. Aufgrund fehlender oder veralteter Datenschutzbestimmungen sowie (noch) eher starren Silodenkens bestehen nach wie vor auch Hemmungen, im Bereich Big Data experimentell aktiv zu werden."

Ziel der Konferenz ist ein konstruktives Gespräch zwischen Vertretern von Medien, Politik sowie Internet- und Sicherheitsunternehmen über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Big Data. Diskutiert werden sollen nicht nur Ursachen und Entwicklungsszenarien, sondern auch Strategien für den richtigen Umgang mit einer für die Zukunftsfähigkeit marktwirtschaftlicher Demokratien zentralen Thematik.

Eingeladen werden 40 bis 50 nationale und internationale Chefredakteure, Politiker, Vertreter von relevanten Organisationen sowie von großen Internetkonzernen , die in zwei Sessions mit verschiedenen Schwerpunkten in einem Roundtable-Format über dieses Thema diskutieren.

 

 

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