Am Donnerstag, dem 17. September fand zum 11. Mal die internationale Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium statt. 51 internationale Vertreter aus Politik, Medien und Wissenschaft und kamen in der historischen Orangerie von Sanssouci zusammen, um über das diesjährige Thema „70 Jahre Potsdamer Abkommen: an einem neuen Scheideweg?” zu diskutieren.
Heute, 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, sind die Hoffnungen auf mehr Frieden und Stabilität  innerhalb Europas ins Wanken geraten. Konstellationen driften auseinander. Nicht Freiheit, gegenseitiges Vertrauen und Demokratie prägen das Gesicht Europas, sondern Angst, Abgrenzung, populistische Tendenzen und –  im Fall der Ukraine –  sogar wieder Krieg. Das Flüchtlingsdrama zwingt Europa ebenfalls, seine Auffassung von humanitärer Hilfe bis hin zu demokratischen Werten als Gesamtkonzept der Europäischen Union neu zu definieren.

In seiner mit Spannung erwarteten Eröffnungsrede traf der ehemalige deutsche Außenministers Hans-Dietrich Genscher den Nerv der zentralen Fragen in Europa und stellte fünf Regeln auf:

1. Definiieren Sie die eigenen zentralen Werte und lebenswichtigen Interessen –   bei gleichzeitigem Verständnis für die  Werte und Respekt für die Interessen Ihrer Partner und Widersacher.
2. Suchen Sie nach den richtigen Partnern beim Verteidigen und Befördern Ihrer Ziele.
3. Niemals, niemals den Dialog aufgeben.
4. Vertrauensbildung und Zusammenarbeit  immer der Konfrontation vorziehen.
5. Halten Sie Ihre Verpflichtungen ein, und nutzen Sie die bestehenden internationalen Institutionen und Foren.


SESSION I: The post-war order in Europe: Is it drifting apart – can it survive? (Die Nachkriegsordnung in Europa: driftet sie auseinander – kann sie überleben?)

Dr. Jamie Shea, Deputy Assistant Secretary General, Emerging Security Challenges, NATO, eröffnete die erste Session mit einem Input. Für ihn erfährt Europa derzeit eine neue Notzeit: Im Osten mit einem wieder erstarkenden Russland, das bereit sei, seine neuen Kräfte zu demonstrieren; im Süden mit dem Zerfall der alten Ordnung in Nordafrika und dem Nahen Osten und Ursache der aktuellen Flüchtlingskrise; und nicht zuletzt weltweit mit der Rückkehr politischer Geopolitik,  territorialem Wettbewerb und militärischem Machtgehabe. Er betonte, dass es Russlands Entscheidung sei, dem westlichen Bündnis  beizutreten, aber mit Blick auf die Krim solle Moskau andere Nationen nicht daran hindern, es zu tun. Shea sieht Europa mit neuen Herausforderungen konfrontiert, da die USA nicht länger bereit sei, eine wichtige Rolle in der globalen Sicherheit zu spielen wie sie es zu Zeiten des Kalten Krieges taten. Um für diese Herausforderungen gewappnet zu sein, plädierte er für Solidarität und eine gemeinsame Herangehensweise als Europäische Union mit gleichwertigen Partnerschaften, einer gemeinsamen Strategie und einer großen Portion Widerstandsfähigkeit, um zu lernen, mit Schwachstellen zu leben.
 
Der Journalist Ali Aslan, Moderator der ersten Session, bat die Teilnehmer des M100 Sanssouci Colloquiums um Handzeichen, wie optimistisch sie die Zukunft Europas sehen. Die Flüchtlingskrise dominierte nicht nur die globalen Schlagzeilen, sondern auch die erste Session.
Ali Aslan bat den ungarischen Chefredakteur von Atlatszo.hu, Tamás Bodoky, die Teilnehmer über die Haltung der ungarischen Regierung in der Flüchtlingskrise aufzuklären. Bodoky nannte die ungarische Regierung euroskeptisch, obwohl es europäische Förderungen annehme, die dann aber in die Taschen von Oligarchen fließe, die der Regierung nahestehen.
Martin Kotthaus, Leiter der Europaabteilung des Auswärtigen Amts,  sagte, dass die Flüchtlingskrise eine gemeinsame Herausforderung sei, die die Europäer auch gemeinsam bewältigen müssen. „Wir Deutschen glauben, dass wir als Europäer das schaffen können, aber derzeit tragen nur drei von 28 Ländern die Hauptlast.” Trotzdem endete er optimistisch: Bisher hätte Europa noch immer jede Herausforderung bewältigt .
Hella Pick vom Institute for Strategic Dialogue in London sagte, Europa fehlen charmismatische Führungspersönlichkeiten, die die unterschiedlichen Meinungen in den Mitgliedsstaaten vereinen könne. Götz Hamann, stellvertretender Leiter des Wirtschaftsressorts der ZEIT erklärte, dass Europa angesichts neuer Bedrohungen wie Russland oder eines fundamentalistischen Islams seine Werte überdenken und dafür einstehen müsse.

„Hat sich der Medienfokus von der griechischen Finanzkrise auf die Flüchtlingskrise verschoben?”, fragte Ali Aslan die Präsidentin von DIKTIO – Netzwerk für Reformen in Griechenland, Anna Diamantopolou. Die Flüchtlingskrise sei  ein ebenso großes Problem wie die Finanzkrise und bedürfe einer klaren europäischen Vision, antwortete sie. Für Dr. Ulrike Guérot, Gründerin und Direktorin des „European Democracy Lab”,  ist die Union in der Europäischen Union abhanden gekommen, Europas Werte würden gerade zerlegt werden. „In dem Moment, in dem Bequemlichkeit ein absoluter Wert einer Gesellschaft ist, geht etwas verloren.”
Dr. George N. Tzogopoulos, griechischer Analyst, Autor und Journalist fragte die Teilnehmer, was Solidarität in Europa bedeute und fügte hinzu, es sei nicht klar, wie sie im politischen Alltag gelebt werden solle. Er bemerkt eine Spaltung Europas zwischen Nord und Süd und mahnte, dass Italien und Griechenland in der Flüchtlingskrise nicht allein gelassen werden dürfen. Die Europäische Union brauche eine Langzeitvision für Migration und in internationalen Beziehungen. Martin Kotthaus verwies auf den Topf von 400 Millionen Euros, die von der Europäischen Union für die Unterstützung in der Flüchtlingsfrage sowie zum Ausbau von Frontex als Europäischen Grenzschutz bereitgestellt worden sind.  Jamie Shea erklärte abschließend, dass die Lösung der Probleme, die Europa auseinandertreiben mehr Integration sei. Auch wenn er die Widerstandsfähigkeit der Europäischen Union nicht unterschätzen würde – „die EU hat die Gewohnheit, sehr lang zu brauchen, aber am Ende gelingt es ihr immer”–, warnte er ebenso, dass Deutschland die Führungsrolle nicht allein übernehmen könne.

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