Die dritte und letzte Session hieß „... Das erste Opfer ist die Wahrheit. Europas Medien und die Informationskrise" und wurde von n-tv-Moderator Constantin Schreiber geleitet.

Asiem El Difraoui kritisierte, dass es den Europäischen Medien nur teilweise gelungen sei, über die Flüchtlingskrise objektiv zu berichten, stattdessen haben sie nur die negativen Aspekte gezeigt. Den europäischen Medien fehle eine Strategie gegen die zunehmende Radikalisierung gegen Flüchtlinge. Um Propaganda entgegenzuwirken und vertrauenswürdigen europäischen Journalismus zu ermögliche, empfiehlt er die Gründung/Schaffung eines wirklichen europäischen Mediums für den südlichen Mittelmeerraum.
Monika Garbačiauskaitė-Budrienė, Chefredakteurin der Litauischen Nachrichtenplattform Delfi.lt, richtete das Augenmerk auf die russische Propaganda, die vor allem in und durch soziale Medien verbreitet wird. Wenn Journalisten über Propaganda und russische Trollfabriken schreiben, werden sie zu persönlichen Zielen von Trollen. Die EU sollte sich mehr auf die Bewältigung des Propagandaproblems konzentrieren und Maßnahmen ergreifen und „unsere Bevölkerungen nicht den Russen überlassen".
Nataliya Gumenyuk ergänzte, dass auch große Medien Lügengeschichten übernehmen, und zwar vor allem wegen der Quote. Diese Lügen würden immer wieder aufpoppen, selbst in TV-Diskussionen. Ein neues Phänomen seien Online-Bedrohungen und -Belästigungen, um Journalisten und unabhängige Medien zu diskreditieren. Das würde unglaublich anwachsen und immer weiter dazu führen, dass den Medien immer weniger geglaubt werde.
Ulrike Guérot drückte ihre Besorgnis über eine mögliche Korrelation zwischen dem Verlust des Systems und dem Verlust der Medien aus. „Die Erosion, die Aushöhlung der Medien ist eine Erosion der Glaubwürdigkeit. Wie Habermas schon sagte: Wir verlieren die Filter, und wir verlieren die Kontrolle. Wir können nicht länger davon ausgehen, dass in einer überregionalen Tageszeitung die Intelligenz schreibt und das Land weiß, was es zu denken hat, die Zeit ist vorbei."

Ein anderes Thema war der Mangel an Visionen und der Mangel an Arbeitsstandards in den europäischen Medien. Auch wenn die Medien in den verschiedenen europäischen Ländern unterschiedliche Arbeitsweisen haben, sagte Agron Bajrami, sollten sie doch die gleichen Funktionen und Aufgaben haben: zum Einigungsprozess innerhalb der EU beizutragen.
Stefan Kornelius, Leiter Außenpolitik bei der „Süddeutschen Zeitung", sagte: „Wir sind Teil eines Spiels und Teil eines Verzerrungskrieges, was mich allerdings nicht sehr erschüttert. Es ist das Zeichen unserer Zeit. Die Medien sind ein großer Resonanzkörper, in dem jeder seine eigene Wahrheit finden kann. Wir sollten aber gegen Tendenzen kämpfen, dass die Linien zwischen Wahrheit und Unwahrheit, zwischen Lüge und Wirklichkeit verzerrt werden."
Sonia Mikich äußerte sich besorgt über „die Frage über  unsere Qualitäten als Journalisten, unsere Glaubwürdigkeit, Ethik und Professionalität. Wir haben unsere Rolle als Journalisten vergessen, die darin besteht, die Dialektik zwischen Wahrheit und Gefühl genau zu überprüfen." Fakten sind ihrer Ansicht nach uninteressant geworden, weil jeder sich nur noch nach Gefühlen richte und auch so berichte. Die Medien sollten nicht opportunistisch und korrupt werden, nur weil zurzeit hauptsächlich Gefühle durch die Gesellschaft  geistern.
Für „Bild"-Chefin Tanit Koch lautet die Frage weniger, „ob wir das System verlieren, sondern ob wir die sozialen Medien verlieren" - besonders im Hinblick auf traditionelle Parteien wie die CDU und die SPD, die zusammen weniger Follower hätten als die AfD. Sie ist ebenfalls besorgt, ob in Städten gemachter Journalismus (urban journalism) die Sorgen der ländlichen Bevölkerung erfasst und dass das Nichterwähnen gewisser Fakten, wie zum Beispiel die Nationalität in Berichten über Kriminalität - zu Misstrauen zu den Medien generell führe.  
VDZ-Geschäftsführer Stephan Scherzer ist alarmiert durch das sogar in den traditionellen Medien immer öfter gebrauchte NAZI-Wort der „Lügenpresse", einst Lieblingswort von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Mittlerweile werde es - selbst in gebildeten - Debatten ganz selbstverständlich ohne Anführungszeichen benutzt, und zwar nicht nur in Russland oder den Baltischen Ländern, sondern in unserer Gesellschaft. Die Medien müssen aufpassen, nicht zu elitär zu werden, das würde man in einer offenen Gesellschaft nicht brauchen.
Für Annalisa Piras wird uns das Thema Migration die nächsten 50 Jahre begleiten. Deshalb sei es wichtig, dass sich die europäischen Medien ihrer Verantwortung bewusst sind. Die „frivolen Lügen" über den Brexit seien extrem besorgniserregend, nach dem Brexit seien in Großbritannien fremdenfeindliche und hassmotivierte Straftaten auf 58 % gestiegen, was sie vor allem der Berichterstattung der britischen Yellowpress anlastet. Die Diskussion über eine wahrheitsgetreue Berichterstattung sei für unsere Gesellschaft „und für unsere Verantwortung als Kommunikatoren" von zentraler Bedeutung. Deshalb betrachtet sie im Bereich Migration eine Zusammenarbeit zwischen den Medien und der EU als extrem wichtig.
Jim Egan äußert sich überrascht, dass die Teilnehmer auf journalistischen Konferenzen so oft den Journalismus als „konstanten Krisenzustand" betrachten und sehr oft wünschen, dass das Internet und die sozialen Medien nie erfunden worden wären. Er erwähnte auch die besorgniserregende,  abnehmende Informationsfreiheit. Er sagte, dass die Quantität von Informationen nie so groß gewesen sei und gleichzeitig die Qualität und das Verständnis nie so gering gewesen sind, was es Propaganda und meinungsbasiertem Journalismus ermögliche, als Fakten präsentiert zu werden. Für ihn lautet die Antwort an Journalisten auf diese Herausforderungen „uns selbst an die Grundprinzipien des Journalismus zu erinnern und die Aspekte unseres Handelns, auf dem unser Geschäft basiert: Genauigkeit und unvoreingenommene Ausgewogenheit."
Daniel Gerlach warnte davor, die wachsende Bedeutung  von unseriöser und manipulativer Kolportage in den sozialen Medien mit einer Nachahmung von deren Klickbaiting-Methoden zu beantworten. „Wir sollten am Weg der alten Schule festhalten: Weniger spektakuläre Headlines, darauf aber das Informationsversprechen, das mit der Überschrift gegeben wird, dann auch im Text erfüllen."
Andreas Umland erinnerte noch einmal an Russland und an die russischen Medien, die die öffentliche Meinung durch das Verbreiten von Propaganda anfachen. Er nannte verschiedene Projekte, die Propaganda entgegenwirken, zum Beispiel EU Mythbusters der EU EAST STRATCOM Task Force  oder die Ukrainische Plattform stopfake.org, die in zehn verfügbaren Sprachen einen „Kampf gegen gefälschte Informationen über die Ereignisse in der Ukraine" führt.

Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur Digitale Medien der „Frankfurter Allgemeine Zeitung", nutzte die Gelegenheit für einen positiven Appell an die Kolleginnen und Kollegen. Im fehle „kämpferischer Geist! Uns gehören noch immer die mächtigsten Medien und Marken in der Welt. Es ist ein Privileg, Teil dieser Marken zu sein." Neben all den Mängeln sei das Internet eine der besten Erfindungen für Journalisten, die mehr Energie in den digitalen Markt investieren sollten. „Unsere wichtigste und besondere Pflicht ist, in unseren Lesern die Leidenschaft für die Wahrheit zu entfachen, aber wenn wir zu selbstgefällig sind, verlieren wir diese Funktion."

Die Session - und damit die Konferenz - endete mit einem Statement von Anne McElvoy, die sagte, dass es ja nicht das erste Mal sei, dass die Medien mit Rufen nach Wahrheit im Gegensatz zu Meinung und Polemik konfrontiert seien. Die Medien, die Journalisten, stünden zwar unter einem enormen Druck, müssten sich aber dennoch ständig selbst überprüfen. Oft würden die Menschen die Geschichten und Meinungen, die in der Zeitung stehen, mit ihrer eigenen Lebenssituation vergleichen und feststellen, dass es da einen großen Unterschied gibt. Die Unwahrheit sei heute sehr populär geworden, aber die Medien sollten schauen, woran das liegt, wonach die Leute suchen und was sie bewegt. Es gäbe sehr viel mehr „Lügenpresse" da draußen, das seien nicht nur die Medien des demokratischen Westens. Die Medien, die Medienvertreter, sollten mit dieser „Nabelschau" aufhören und dem Nachdenken über ihre Zweifel, sondern lieber überlegen, was sie den Lesern anbieten können.

ZUSAMMENFASSUNG
Session III hat gezeigt, in welch großer Krise sich auch Europas Medien befinden. Desintegration, Populismus, Brexit, die Flüchtlingskrise und das Aufkommen nationaler und populistischer Kräfte hat nicht nur Europa in einen Krisensturm laviert, sondern auch Europas Medien.  Viel war von Versäumnissen, Fehlern und Verunsicherung die Rede, verbunden mit dem Wunsch nach größerem Austausch - sowohl mit den Lesern, Zuschauern und Nutzern, als auch untereinander. Ein intensiverer Austausch und das gemeinsame Erarbeiten von Strategien ethischen Standards könnte auch die traditionellen Medien wieder stärken  und  den "Mangel an Visionen und Arbeitsstandards in den Medien" beheben.

Hier finden Sie die Zusammenfassung des M100 Media Awards.

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