JOURNALISMUS ZWISCHEN POLITIK, PROPAGANDA UND GEFÄNGNIS IN GEORGIEN

Mariam Gogishvili aus Georgien, 22, hat einen Bachelor in Journalismus und arbeitet zurzeit in der PR-Abteilung eines georgischen Unternehmens.


Die Unabhängigkeit der Medien ist seit jeher ein sensibles Thema in Georgien. Georgien war Teil der Sowjetunion, und damit meine ich, dass Informationen zu verschleiern, Propaganda zu streuen sowie Druck auszuüben der Alltag gewesen ist.

Seitdem hat sich die Situation unter jeder neuen Regierung geändert. 2007 hat die Bereitschaftspolizei eine Razzia bei einer der führenden TV-Stationen „IMedi“ auf Befehl des georgischen Präsidenten durchgeführt. Erstens war das ein klarer Beweis dafür, dass die Medien in Georgien unter politischem Druck stehen. Zweitens war das eine unmissverständliche und gefährliche Botschaft an alle Medienschaffenden.
Damit machte es die Regierung Saakashvilis deutlich, dass die Polizei alle oppositionellen Medienanstalten oder Journalisten im Visier haben und notfalls mit Gewalt vorgehen würden. In dieser Zeit brachen die georgischen Ministerien den Kontakt zu Journalisten ab und hörten auf, an politischen Debatten teilzunehmen. Mehrere TV-Programme wurden abgesetzt.
Die bekanntesten und einflussreichsten TV-Sender unterstützen die Regierung. TV-Sender waren die schärfste Waffe in den Händen der Regierung. Im Gegensatz zum Fernsehen spielen die Print- und digitalen Medien eher eine untergeordnete Rolle. Bei der Übernahme der TV-Sender aber konnte die Regierung sicher sein, größtmöglichen Einfluss zu gewinnen. In den Regionen des Landes, in denen Lokalmedien schwach oder nicht existent waren, stammten alle Informationen aus dem Fernsehen, das von der Regierung kontrolliert wurde. Kurzum, die Bevölkerung erhielt nur die Informationen, die von der Regierung genehmigt wurden.
Journalisten, die sich gegen die Regierung stellten, beschwerten sich oft, dass sie Opfer von Unterdrückung, Erniedrigung und Einschüchterung seien. Als ich 2011 anfing, als Journalistin zu arbeiten, fand ich diese Situation vor. Von Anfang an war mir klar, dass Informationen von Ministerien oder offiziellen PR-Beratungen nur schwer oder gar nicht zu bekommen waren.
Ich kann mich an viele Gelegenheiten während meiner Arbeit erinnern, in denen ich keine notwendigen Auskünfte für meine journalistische Recherche bekam. Ich war zwar niemals Opfer von Gewalt oder Bedrohung, aber Informationen von Journalisten fernzuhalten, ist meiner Meinung nach Druck auf die Arbeit von Journalisten.
Einmal rief mich eine Dame an, die mir erzählte, dass ihr Sohn im Gefängnis gefoltert wurde. Ich konnte über seine Verfassung keinerlei Auskünfte erhalten. Ich forderte ein Treffen mit einem Beauftragten des Ministeriums für Strafvollzug und Bewährung, aber ohne Erfolg. Ich versuchte herauszufinden, warum meine Anfragen unbeantwortet blieben, da erzählte man mir, dass täglich hunderte solcher Forderungen einträfen und meine noch weit davon entfernt wäre, überhaupt gelesen zu werden. Das passierte jeden Tag.
Das Deprimierendste war, dass man am Ende aufgeben musste. Es gab nichts oder niemanden, der Journalisten in dieser Situation schützte. Einmal empfahl mir sogar der Besitzer des TV-Senders, für den ich gearbeitet habe, dass ich aufgeben solle, denn die Person, die mir die Auskünfte, die ich brauchte, geben könnte, könne sogar noch mehr Probleme bekommen. Das war sehr niederschmetternd, aber das war die Realität.
In vielen Treffen mit Regierungsbeauftragten, Ministerien oder dem Präsidenten wollten Journalisten hunderte wichtige Fragen stellen. Lächerlich wenig Zeit wurde ihnen in diesen Treffen eingeräumt und jede Frage musste vorher mit dem Betreffenden vereinbart werden. Fragen zu stellen war ein Privileg der TV-Sender und ihren Redaktionen, die wiederrum von der Regierung kontrolliert wurden. So waren diese Treffen nur ein weiterer Teil ihrer politischen Propaganda. Als ich zum ersten Mal zu so einem Treffen ging, sollte ich meine Fragen mit der PR-Beraterin absprechen. Zuerst weigerte ich mich. Doch als ich erfuhr, dass das meine einzige Chance sei, überhaupt Fragen zu stellen, musste ich einwilligen. Es gab viel mehr Fragen als Antworten.
Wenn an Regierungspressekonferenzen internationale Journalisten oder Vertreter der Europäischen Union teilnahmen, war der Unterschied zwischen den Fragen der georgischen Journalisten und der anderen Journalisten gewaltig.
Die Situation veränderte sich dramatisch, als die Regierung in Georgien wechselte. Unser ehemaliger Ministerpräsident kündigte sein politisches Comeback an und baute den TV-Sender „TV9“ zu seiner Hauptpropagandaquelle aus. Das erste Mal seit vielen Jahren gab es eine starke Opposition in den Medien, die eine große Rolle beim Regierungswechsel gespielt haben.
Das war vielleicht die dunkelste Zeit des georgischen Journalismus. Journalisten, offizielle Vertreter und die Bevölkerung wurden in zwei Teile geteilt. Beide Seiten hatten ihre TV-Sender und digitalen Medien als Hauptverbreitung und Quelle für ihre Propaganda. Viele Journalisten wurden körperlich misshandelt, und noch mehr wurden in dieser Zeit verhaftet.
Einen Monat vor den Wahlen veröffentlichte die Opposition einen wichtigen Dokumentarfilm, der zeigte, wie Häftlinge in georgischen Haftanstalten geschlagen und von der Polizei misshandelt wurden. Diese Aufnahmen wurden durch TV9 ausgestrahlt. Nach den gewonnen Wahlen wurde der Sender verkauft. Er wurde nicht länger gebraucht. Er hatte seinen Job getan, er war eine effektive Quelle der Propaganda gewesen, doch als die Wahlen vorbei waren, brauchte man ihn nicht mehr.
Nach den Wahlen verbesserte sich die Situation. Überraschenderweise wurden keine TV-Sender geschlossen, auch wurden Journalisten nicht mehr in ihrer Arbeit gestört. Doch konnte es ihnen passieren, dass sie als Saakashvilis Journalisten beschimpft wurden. Einerseits unterstützen einige TV-Sender und Journalisten natürlich noch die früheren Regierungsvertreter, auch heute noch wird genauso viel Propaganda verbreitet wie vorher. Aber es wird nicht mehr ausnahmslos das Verhalten der Regierungsbeamten hingenommen und gebilligt. Die Regierungsbeamten reagieren auf kritische Fragen aber sehr emotional, und wenn sie von Journalisten gestellt werden, beschimpfen sie sie vor allen anderen.
Trotzdem haben sich viele Dinge zum Besseren gewendet. In vielen Pressekonferenzen können wir nun Fragen stellen, ohne dass diese vorher besprochen werden müssen. Jetzt muss sich der Ministerpräsident tatsächlich kritischen Fragen stellen. Es gibt keine Tabus mehr. Relevante Informationen zu erhalten, ist zwar immer noch schwierig, aber immerhin möglich. Und Regierungsbeamte können sich nicht länger weigern, an politischen Debatten teilzunehmen. In den vergangenen Jahren wurden keine Journalisten mehr verhaftet. Wenn die Medien stark bleiben, sieht es ganz nach einem positiven Wandel aus.
Was mich aber am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, dass wir verantwortlich dafür waren, dass die frühere Regierung ihre Propaganda so effektiv verbreiten konnte. Ob wir wollten oder nicht, wir Journalisten in Georgien haben einfach nicht die Kraft, dagegen zu halten. Wenn ich an meine Arbeit denke, muss ich mich damit auseinandersetzen, dass ich eine der Journalisten war, die dem politischen Druck nicht standhalten konnte.

 Mariam Gogishvili