Journalism between Politics, Propaganda and Prison 

In diesem Jahr kamen 23 junge Nachwuchsjournalisten zwischen 18 und 26 Jahren nach Potsdam, um am M100 Young European Journalists Workshop teilzunehmen. Der sechstägige Workshop beschäftigte sich mit Propaganda, der Anwendung von Propagandainstrumenten, der Beeinflussung und Einschüchterung von Journalisten, der Auswirkungen auf das Ansehen der Medien, auf die Bevölkerung sowie auf die Beziehungen zwischen den Ländern. Die Teilnehmer kamen aus den Ländern der Östlichen Partnerschaft: Ukraine, Moldawien, Georgien, Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan.
Ziel war es, den Teilnehmern zu vermitteln, wie Propaganda funktioniert und welche Zwecke sie verfolgt, wie man sie erkennt, wie man Informationen (auch in sozialen Netzwerken) verifiziert und wie man sich als Journalist gegen Propaganda, Vereinnahmungen und Manipulationen durch Regierungen und Lobbyisten wehren kann.
Die Teilnehmer berichteten  von ihren eigenen Erfahrungen, ob und welchen Bedrohungen und Einflussnahmen sie in ihrer Arbeit  ausgesetzt sind und wie Propaganda in ihren Ländern  eingesetzt wird. Der Workshop wurde geleitet von dem Politikwissenschaftler, Journalisten und Ko-Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Dr. Leonard Novy, und dem Journalisten, Autor und preisgekrönten Filmemacher Christian Stahl.

1. The road ahead - Die Reise beginnt
Nach einem Willkommensabend am Samstag, dem 12. September, begann der Workshop am Sonntagmorgen im Medieninnovationszentrum Potsdam-Babelsberg MIZ mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Anschließend wurde das Programm der Woche besprochen.Workshop
Das Ziel am Morgen bestand darin, verschiede- ne Dimensionen von Propaganda durch Zustimmung oder Ablehnung zu identifizieren, wodurch spiele- risch wichtige Schlüsselaspekte herauskristallisiert wurden: objektiver Journalismus als idealistisches Konzept, die Kollision von unternehmerischen Interessen und Propaganda besonders in staatlichen Medien, die Auswertung von Fakten und ihre Interpretationen, Journalismus als Geschäft und als eine Kunst der Überzeugung, selektiver Journalismus als ein Mittel von Propaganda etc.
Um zwischen Journalismus und Propaganda zu unterscheiden, ist es notwendig, in Interviews aktiv und genau zuzuhören. Vor der Interviewpraxis machte die Gruppe Übungen, um vor der Kamera lockerer zu sein.  Im nachfolgenden Training sollten die Teilnehmer das Interview mit einer Eingangsfrage beginnen und im Gesprächsverlauf vier weitere Fragen als Reaktion auf das Gesagte entwickeln. Die Quintessenz des ersten Tages, die gleichzeitig einen Ausblick auf die kommenden Tage gab, war, dass eine arbeitsfähige Definition von Propaganda gefunden werden muss, um folgende Fragen zu beantworten:

● Wo stehen wir im Umgang mit Propaganda auf internationaler Ebene?
● Was ist die Beziehung von westlichen Demokratien zu Propaganda?
● Welches sind mögliche Formen von Propaganda?

2. Arten, Funktionen und Relevanz von Propaganda

Ziel des zweiten Tages war,  verschiedene Arten von Propaganda und ihre Rolle in westlichen Demokratien zu definieren. Schlüsselfragen waren: Was wissen wir über Propaganda? Wie funktioniert sie? Welche Techniken wurden  von den Nationalsozialisten benutzt und was hat sich heute verändert? Als Diskussionsgrundlage wurde den Teilnehmern ein kurzes Video einer historischen Rede des ehemaligen Propagandaministers Joseph Goebbels im nationalsozialistischen Deutschland gezeigt. Als ein zeitgenössisches Beispiel diente der Wahlwerbespot der AKP und des türkischen Premierministers Erdogan. Beide Videos sollten die Bandbreite der unterschiedlichen Formen von Propaganda und ihre Manipulation im Zeitalter der Massenkommunikation wiedergeben. Die Teilnehmer diskutierten anschließend über verschiedene Interpretationen von Propaganda im Vergleich zu Public Relations, um die beiden mit Massenkommunikation verwandten Formen unterscheiden zu lernen. In Gruppen sollten die Studenten Unterschiede, Ähnlichkeiten und Eigenschaften von Propaganda und PR herausfinden und darüber hinaus ermitteln, wie sie sich zueinander verhalten, welche Hürden Journalisten mit Unternehmenssprechern zu überwinden haben und ob oder warum PR notwendig ist.

Der jährlich erscheinende Bericht von "Reporter ohne Grenzen" zum Status der Pressefreiheit  diente als Beispiel, um den Zustand der Medien sowie der Pressefreiheit weltweit zu vergleichen und Faktoren zu identifizieren, die die Pressefreiheit einschränken können:

● Regierungen
● Terrororganisationen
● kriminelle Banden
● Drogenmafia

Die Studenten diskutierten demokratische Wertesysteme am Beispiel verschiedener westlicher Nationen, um Propaganda in diesen Ländern zu beleuchten. Die Gruppe präsentierte verschiedene Beispiele aus den Boulevardmedien über die griechische Finanzkrise und verglich die Berichterstattung darüber in italienische Medien und der deutschen Bildzeitung. Auch der Umgang europäischer Medien mit der Flüchtlingskrise wurde diskutiert. Das Satiremagazin Charlie Hebdo diente als Beispiel um zu überlegen, in wie fern es als Instrument für Propaganda mißbraucht wurde.

Die dritte Gruppe präsentierte in ihren Ergebnissen verschiedene Arten von Propaganda aus ihren Herkunftsländern:.
● Georgien und der Fall des gefälschten Nachrichtenprogrammes “Qronika” on Imedi TV
● Beispiele russischer Propaganda in der Ukraine (Videos)
● Selektive und einseitige Berichterstattung
● Weitere Beispiele russischer Propaganda (Videos)

Zum Abschluss zeigte der armenische Teilnehmer Aharon Hayrapetyan sein extra für den Workshop verfasstes Video, das sich mit Propaganda in Armenien befasst. Er thematisiert darin die jüngsten Demonstrationen aufgrund der Preissteigerung bei der Stromversorgung, auch der „Elektrische Maidan” genannt, und ihre Berichterstattung in westlichen sowie russischen Medien und in der Ukraine.

„Die Warheit hinterfragen” - Der letzte Teil des vollgepackten Tages war einem weiteren Interviewtraining vorbehalten. Christian Stahl erklärte darin die Wichtigkeit der Körpersprache und die richtige  Vorbereitung auf ein Interview. Als Beispiel eines kritischen interviews wurde Jeremy Paxmans Interview mit Bill Gates in der News Night gezeigt und diskutiert.

3. Exkursion nach Berlin

In Googles heiligen Hallen

Ralf Bremer, Pressesprecher und politischer PR-Manager bei Google, begrüßte die Teilnehmer in Googles Berlin Büro Büro im Herzen von Berlin Unter den Linden  und Googleverkündete Googles Mission: alle Informationen der Welt zu organisieren, zugänglich und nutzbar zu machen (Larry Page & Sergey Brin, 1998). Er erzählte den Teilnehmern, wie Google funktioniert, berichtete vom Forschungs- und Ausbildungsprogamm “Digital News Initiative” und stand den Fragen der Nachwuchsjournalisten Rede und Antwort.

Einblicke in die Arbeit eines Internet-Riesen und weltweiten Unternehmens, seine Projekte und Perspektiven gaben den Nachwuchsjournalisten viele Ideen und Anregungen, die nicht zuletzt auch durch kleine Leckereien aus Googles Küche verstärkt wurden.

Axel Springer Akademie
Rudolf Porsch, Geschäftsführer der Axel Springer Akademie, ermöglichte den jungen Journalisten einen Einblick in die Arbeit und Philosophie der  Springer Verlagsgruppe. Er erklärte neue Medienanwendungen, die das Verlagshaus in der High-Tech Welt positionieren sollen, wie zum Beispiel die Multi Channel strategy, die Content für die verschiedenen Online- und Print-Editionen und Kanäle der BildGruppe maßschneidert. Porsch erklärte die Strategie hinter dem Boulevardblatt BILD, das absichtlich provokante Überschriften und große Bilder benutzt; die Mission dahinter sei, nah an der Wahrheit zu sein, Debatten zu provozieren und so eine pluralistische Demokratie zu bewahren. Trotzdem muss  das Blatt natürlich rentabel sein, und in der Tat ist BILD das finanzielles Zugpferd der Verlagsgruppe.ASA

Leon Engländer, Die Welt-Kolumnist und Sprecher des Chefredakteurs, beschreibt Die Welt als eine Art Gegenstück zu BILD - „klassisch, traditionell, Qualitätsjournalismus”. 2003 war Die Welt die erste deutsche Zeitung, die ihre Artikel zuerst online erscheinen ließ. Und immer noch unterscheidet Die Welt nicht zwischen Onlinejournalimus und „klassischem” Zeitungsjournalismus. Die Schlüsselfrage für den Printjournalismus ist für Engländer,was  morgen noch interessant ist. Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurden den Studenten Strategien vermittelt, um ihre eigenen Medienformate online besser darzustellen.
 
Am späten Nachmittag lud die Axel Springer Akademie zu einem Gespräch mit ihren Volontären sowie Anna Honcharyk vom Ukraine Crisis Media Center in Kiew. In der Gesprächsrunde ging es um russische und ukrainische Propaganda und Strategien zur Bekämpfung. Ergebnis war eine konstruktive Diskussion mit allen Teilnehmern, die sich im informellen Ausklang mit Getränken und Snacks noch weiter vertiefte.

4. Praxistag: Was haben Boxen und Propaganda gemeinsam?
Der Mittwoch begann mit einer ungewöhnlichen Morgenübung. Christian Stahl lud die Nachwuchsjournalisten zu einem Boxkampf ein. Ziel der Übung war es zu erkennen, dass analog zum Boxkampf guter Journalismus aus Zuhören, Antizipieren und Interagieren besteht. Dabei sei die richtige Technik wichtiger als Stärke. Propaganda benutze nur Stärke und Macht, aber wie im Boxkampf sei Stärke allein kein Garant fürs Gewinnen. In der zweiten Hälfte des Tages entwickelten die Teilnehmer Strategien für gute Interviewführung. Im Fokus stand besonders, dass einige der Nachwüchsler die Teilnehmer des M100 Sanssouci Colloquiums interviewen würden.
Das Training befasste sich mit wichtigen Techniken wie dem Interviewaufbau, dem Drei-Akt-Schema, Konflikt- und Wendepunkten sowie  narrativen Techniken. Eine Gruppenarbeit vertiefte die theoretischen Aspekte. Der Tag endete mit einem Propagandavideo, das die Teilnehmer selbst erstellten, um das angewandte Wissen praktisch anzuwenden.
 
5. M100 Sanssouci Colloquium
Am fünften Tag des Workshops nahmen die Nachwuchsjournalisten aktiv am M100 Sanssouci Colloquium teil. Besonderes Highlight war für einige Teilnehmer, dass sie Interviews mit spannenden Teilnehmern des Colloquiums führen konnten und sich  darüber hinaus mit führenden Köpfen austauschen konnten. Das internationalen Forum bringt Europas tonangebende Redakteure, Kommentatoren und Medienbesitzer (Print, TV und Internet) sowie öffentliche Schlüsselfiguren zusammen, um die Rolle und den Einfluss der Medien in internationalen Angelegenheiten zu untersuchen und sich für Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit einzusetzen.

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Vor dem Hintergrund des 70. Jahrestages des Potsdamer Abkommens diskutierten 50 führende Medienschaffende und politische Köpfe in drei Sessions über die gegenwärtige Situation in Europa.  

Ziel des M100 Sanssouci Colloquiums ist ein konstruktives, intersektorales Gespräch zwischen Vertretern von Politik, Wissenschaft, Medien und Journalismus sowie Internetindustrie über das Erbe des Potsdamer Abkommens und die Perspektiven eines freiheitlichen, demokratischen Europas in einer zusehends unübersichtlichen Weltordnung.

Am Abend hielt der amtierende deutsche Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier die politische Abschlussrede des diesjährigen M100 Sanssouci Colloquium in Potsdam. Nach seiner Rede wurde der M100 Media Award an den diesjährigen Preisträger, das französische Satiremagazin Charlie Hebdo verliehen. Der Chefredakteur des Magazines, Gérard Biard, nahm den Preis entgegen. Die Laudatio hielt der Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach.

6. Alfred Herrhausen Gesellschaft-Konferenz „Denk ich an Deutschland …”
Am letzten Tag des Workshops waren die Nachwuchsjourna- listen eingeladen, an der Konferenz ‘Denk ich an Deutschland’ (‘When I think of Germany…’) der Alfred Herrhausen Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der FAZ in Berlin teilzunehmen: Die Nachwuchsjournalisten trafen viele der erfahrenen Journalisten des Colloquiums wieder und konnten u.a. die Reden des deutschen Historikers Heinrich August Winkler, der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Jackson Janes von der John Hopkins Universität und des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, verfolgen.

 

Der M100 Young European Journalists Workshop ist eine Initiative der Stadt Potsdam und des Vereins Potsdam Media International e.V. 2015 wurde er gefördert vom Auswärtigen Amt und dem National Endowment for Democracy. Er wurde gesponsert von Google und fand statt in Kooperation mit dem Medieninnovationszentrum Potsdam Babelsberg (MIZ) und der European Youth Press.


*Die Zusammenfassung wurde gemeinsam verfasst von Isabel Gahren, Olha Novikova, Catalina Russu, Stanislav Sokolov, Mariam Gogishvili, Mari Gasparyan, Cristina Gurez, Olha Konsevych, Tako Svanidze, Olesya Yaremchuk und Sophie Schriever.