Wiem Melki, 1988 in Tunesien geboren, ist Journalistin bei Tunisia Live, der ersten englischsprachigen tunesischen Nachrichtenwebsite.

 

Die Web Revolution in Tunesien

 

Das Internet ist zu einem Rückzugsort der Menschen geworden, zu einer Parallelwelt, in der sie sowohl mehr über sich selbst, als auch über die Welt erfahren können. Soziale Medien haben eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der Menschen gespielt, indem sie sie vereint haben, um durch Massenproteste (virtuell oder physisch) gegen Störungen oder Regierungsentscheidungen zu protestieren, um damit Druck auf die Regierung auszuüben. Die tunesische Revolution ist den sozialen Medien zu Dank verpflichtet, denn hier tauschten Menschen schreckliche Videos über die sich verschlimmernde Situation zwischen Polizei und Demonstranten aus. Die sozialen Medien stärkten auch den Willen der Menschen, gegen das tyrannische Regime und seine Vertreter aufzubegehren.

 

Die tunesische Interimregierung erkannte den Wert eines derartigen Instruments und kreierte selbst offizielle Facebook-Seiten oder Twitteraccounts, etwa für Ministerien und Veröffentlichungen des Präsidenten oder für jegliche Aktivitäten, Pläne oder Klarstellungen. Während der Wahlen hatten alle Politiker ihre virtuellen Profile, die ihr Programm und ihre Aktivitäten präsentierten. Manche Parteien kauften sogar Facebook-Seiten mit besonders vielen Mitgliedern, um die Massen zu beeinflussen.

 

(...) Soziale Medien können dieEntstehung einer starken Zivilgesellschaft fördern, welche die politischen Institutionen und Verantwortlichen reaktionsfähiger machen. Konkret hätte dies den Effekt, dass der Wille des Volkes stärker respektiert wird. Interessensgruppen können Nutzern helfen, sich für kollektive Aktionen zu koordinieren. Es kann ein Zeichen für bürgerliches Engagement durch politische Partizipation oder Mitgliedschaften in NGOs und Vereinen sein. Menschen können NGOs finden, die ihre Neigungen vertreten, ihnen beitreten und so effektive Bürger ihrer Gemeinschaft werden. Die Medien können für symbolreiche Flash Mobs genutzt werden. Ein bekanntes Beispiel war "Tunesien liest". Die Aktion startete klein auf Facebook und wuchs dann gewaltig, bis sich Hunderte von Menschen auf der Habig Bourguiba Avenue in der Hauptstadt trafen. In ihren Händen trugen sie Bücher als Symbol einer kulturellen Revolution.

 

Soziale Medien haben aber auch ein anderes Gesicht – das der Gerüchte. Mittlerweile ist es kinderleicht geworden, Gerüchten zu glauben und sie wie Feuer zu verbreiten. Bürger werden mit sich widersprechenden Wahrheiten konfrontiert. Wir sprechen von verschiedenen Versionen derselben Vorfälle. Die sozialen Netzwerke können dazu missbraucht werden, die öffentliche Meinung zu lenken, indem Wahrheiten verdreht werden, um mit einer bestimmten Propaganda konform zu sein, indem Ereignisse übertrieben dargestellt werden und so Einfluss auf die öffentliche Meinung haben.

 

(...) Da ist aber auch noch dieser neue Trend, dass Leute immer fauler werden, selbst zu denken. Stattdessen hängen sie sich lieber an einen Blogger und überprüfen, inwieweit ihre Meinung mit der des Bloggers übereinstimmt. Sie wollen sehen, wie "recht" sie haben, denn Blogger gelten als "große Denker", die eine gesunde und vernünftige Einschätzung an den Tag legen.

 

(...) Soziale Medien sind ein starker Weg, seine Meinung frei zu äußern. Jeder kann alles veröffentlichen. Darunter hat jedoch die Qualität des veröffentlichten Materials gelitten. Heute sprechen wir über die beiden revolutionäre neue Medienarten Bürgerjournalismus und Online Journalismus. Bürgerjournalismus hat "normalen" Menschen die Möglichkeit gegeben, Meinungen auszutauschen und über Ereignisse aus ihrer Perspektive zu berichten. So erhalten wir verschiedene Versionen derselben Geschehnisse, wobei jede Variante von Hintergrund und Überzeugungen des Schreibers geprägt sind. Online-Journalismus erleichtert die schnelle Nachrichtenverbreitung. Leider können dadurch aber ebenso schnell falsche, auf nicht verifizierten Tatsachen beruhende Gerüchte entstehen, die eine umso größere Verbreitung erfahren. Wir sind sehr besorgt über die Qualität und Authentizität der verbreiteten Informationen.

 

(...) Es ist "unsicher" geworden, Informationen in sozialen Medien bekannt zu geben. Zwar können die Netzwerke das öffentliche Leben anregen und zivilgesellschaftlichen Engagement förden. Doch gleichzeitig können sie falsche Gerüchte, Panik und "Massenidiotisierung" verstärken.

 

Übersetzt aus dem Englischen von Leoni Abel

wiem