Folgen der Arabischen Revolution für China, Iran und Osteuropa

 
Keynote: Slobodan Djinovic (Gründer, Canvas, Belgrad)

Host: Andrian Kreye (Redakteur Feuilleton, Süddeutsche Zeitung, München)

 

Panel: Michael Anti (Blogger und Journalist, Peking), Slobodan Djinovic (Gründer, Canvas, Belgrad), William Echikson (Head of Free Expression Policy and PR in EMEA, Google, Brüssel), Grzegorz Jankowski (Chefredakteur, FAKT, Warschau), Yan Rozum (Gründer, telegraf.by, Minsk), Jay Tolson (Nachrichtenchef, Radio Free Europe, Prag)

 

Die Keynote für Panel II hielt Slobodan Dijnovic, Mitbegründer von CANVAS (Centre for Applied Non-Violent Actions and Strategies), den Tagesmoderatorin Tatjana Ohm als „den Mann, den man anrufen sollte, wenn man eine erfolgreiche Revolution in seinem Land begründen möchte” vorstellte. In seiner Rede „Lektionen aus Serbien, angewandt auf den Nahen Osten“ erklärte er, wie seine Organisation aus der serbischen Revolution gewonnene Einsichten benutzt, um Aktivisten auf der ganzen Welt für den gewaltlosen Kampf auszubilden – einschließlich der ägyptischen und tunesischen Oppositionsführer in Vorbereitung der Aufstände.

 

„Eine Fehlannahme besteht darin, dass viele Menschen glauben, autokratische Systeme seien monolithische Strukturen", so Djinovic. „Aber sie sind tatsächlich komplexe Strukturen; autokratische Regierungen fußen auf verschiedenen Gesellschaftsteilen. Die unterschiedlichen Säulen dieser Struktur sind zum Beispiel die Polizei, das Militär, Firmen, Studenten, die Medien, Bürokratien, religiöse Organisationen, usw. Wenn man sich die Medien anschaut, vor allem in Serbien, waren diese anti-oppositionell und unterstützten die Regierung. Die Regierung kontrollierte die nationalen Fernsehsender, die Zeitungen, die Verwaltung und die Firmen. Die Funktion sozialer Netzwerke und des Internets bestand darin, den Strategen und Anführern der gewaltlosen Bewegungen die Möglichkeit zu geben, die Säule der Medien zunehmend der Opposition zuzuordnen. Darin besteht die Fähigkeit sozialer Netzwerke.“

 

Das universale Prinzip des gewaltlosen Kampfes seien Einheit, Planung und gewaltlose Disziplin. „Diese drei Bedingungen funktionierten in Ägypten außergewöhnlich gut.“ Das Hauptanliegen bestünde darin, den Menschen die Furcht zu nehmen und sie so zu motivieren, auf die Straßen zu gehen. Man benötige eine kritische Masse an Menschen, die sich versammeln. „Damit sich Säulen wie die Polizei oder das Militär gegen die Regierung stellen, muss diese kritische Masse sich aus breiten Gesellschaftsteilen rekrutieren, so dass diese Kräfte nicht mehr wissen, gegen wen sie eigentlich kämpfen; ob es nun die Mitglieder des Kerns der Opposition oder tatsächlich ihre eigene Familie oder enge Freunde sind.“ Durch soziale Netzwerke wie Facebook sei es möglich, ein so breites Publikum zu gewinnen.
Wie auch schon im vorherigen Panel I erwähnt, wurden sowohl in Ägypten als auch in Tunesien Webseiten von oppositionellen Personen und Organisationen gesperrt. Trotzdem wurde Facebook in Ägypten nicht blockiert, da es als „Ablenkungsinstrument“ junge Menschen vor ihrem Computer festhalten sollte.

 

Im Jahre 2008 führte der Versuch, Webseiten zu sperren, in Tunesien zu öffentlichen Unruhen, welche die Regierung folglich zu vermeiden suchte. Es wurden dabei keine hinreichend fortschrittlichen Duplikate geschaffen, die für die Regierung leicht zu überwachen gewesen wären. In diesem Sinne erklärte Michael Anti, dass „in China eine Kopie jeder gesperrten Plattform existiert. Anstelle von Google gibt es Baidu, anstatt Youtube gibt es Youku.“ Es gebe ebenfalls 200 Millionen Mikroblogger in China, welche die Regierung anscheinend nicht stören. „Öffentliche Kritik auf lokaler Ebene ist für die Regierung anscheinend nützlich.“ Dies sind vielleicht einige der Gründe, warum die Revolution nicht in die Volksrepublik überschwappte.


Am Fall von Weißrussland zeigt sich, dass erfolgreiche Revolutionen mehr als freien Zugriff auf soziale Medien bedürfen. Yan Rozum erklärte, „das Internet in Weißrussland ist fast vollkommen frei ist und fast die gesamte Bevölkerung nutzt es. Ebenfalls benötigt man keine Lizenz, um eine Webseite zu erstellen; die Regierung verlangt lediglich, dass man diese in Weißrussland betreibt. Trotzdem ist Weißrussland die letzte verbleibende Diktatur Europas.“


Welche Rolle spielt Google bei den Aufständen? William Echikson erklärte, dass die Organisation aller in der Welt verfügbaren Informationen eine kühne Aufgabe sei und Google deswegen vom freien Informationsfluss und der freien Meinungsäußerung abhinge: „Nicht nur, damit wir unsere Arbeit machen können, sondern auch als moralische Mission. Und natürlich auf pragmatischer Ebene. Google kann nicht funktionieren, wenn es keine Meinungsfreiheit gibt.“ Von 150 Ländern, in denen Google operiert, sperren 25 Google-Dienste. „Auch in Europa verlangen Gerichte zunehmend, dass wir ihnen Einsichten in unsere Inhalte verschaffen, bevor wir diese online stellen. Falls wir einen Gerichtsbeschluss erhalten und wir nachweislich ein Gesetz brechen, nehmen wir den betreffenden Inhalt aus dem Netz. Trotzdem stehen wir vor allem für Meinungsfreiheit.“

 

Während der Revolution, als Mobiltelefon- und Internetdienste in Ägypten gesperrt wurden, setzte Google speak2tweet ein, das es Menschen erlaubt, eine Nummer anzurufen, die mithilfe eines Spracherkennungsprogrammes Nachrichten auf Twitter verbreitete.


Michael Anti ergänzte: „In China wussten wir Googles Entscheidung, sich aus dem Land zurückzuziehen, zu schätzen, da sie ihre Werte verteidigten. Man kann in China erkennen, wer liberal gesinnt ist und wer nicht – je nachdem, ob die entsprechende Person Google benutzt.“


Mit Hinblick auf seinen Hintergrund in den traditionellen Medien und seiner Erfahrung einer „analogen“ Revolution im Jahre 1989 bemerkte Grzegorz Jankowski, dass die Funktion neuer und sozialer Medien nicht überbewertet werden solle. „Sie ändern keine Länder, Meinungen oder Geisteshaltungen.“ Er führte das Beispiel Polens an, wo 10 Millionen Menschen sich innerhalb von ein oder zwei Wochen auf den Straßen versammelten. „Neue Medien erleichtern unser Leben und auch den Meinungsaustausch, aber sie begründen keine Revolution.“


Slobodan Djinovic stimmte dem nicht zu und argumentierte, dass er, „als ich einmal junge Menschen aus den arabischen Ländern trainierte, davon überrascht war, wie gut sie sich kannten. Einige kannten sich bereits über fünf Jahre.“ Die Dynamik der sozialen Medien schafft Synergien und Cluster, was  traditionelle Medien nicht leisten könnten. „Mit Hinblick auf die altmodischen Medien würde ich anmerken, dass es langsam Zeit wird, sich der neuen Realitäten bewusst zu werden.“

 
Für Jay Tolson bestand das in der Debatte fehlende Element in der Einsicht, dass langfristig „organisatorische Tiefe für den Demokratieaufbau unabdingbar ist.“ Er bezog sich dabei auf die Arbeit von CANVAS in Serbien, Ägypten und anderen Ländern. Seiner Meinung nach solle die Rolle von sozialen und anderen Medien keinesfalls überbewertet werden. Obwohl er grundsätzlich übereinstimmte, dass „soziale Medien sicherlich für die Schaffung zivilgesellschaftlicher Organisationen wichtig sind, sollten wir trotzdem nicht zu Technologiejüngern werden und glauben, dieses System hätte seine eigene, inhärente Logik, die sich einfach so vollziehen wird.“


Abschließend bemerkte Slobodan Djinovic, dass „auch wenn wir die osteuropäischen Revolutionen als „analog“ und die Revolutionen im Nahen Osten als „digital“ bezeichnen, der eigentliche Unterschied doch eher im Zeitraum besteht. Wir haben zehn Jahre gebraucht, unseren serbischen Diktator zu entmachten. Die Georgier brauchten ungefähr zwei Jahre, um Schewardnadse los zu werden, die Ukrainer brauchten ein Jahr, aber die Ägypter schafften es in drei Monaten.“

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