Die zweite Session „Im Angesicht der Krise: Die Europäische Außenpolitik“ wurde von dem Fernsehmoderator und Journalisten Ali Aslan moderiert. Er fragte, ob Europa in der Lage sei, im globalen Szenario mit einer Stimme zu sprechen. Was die hauptsächlichen Herausforderungen der heutigen europäischen Außenpolitik sind und ob – im Angesicht der Krisen – eine gemeinsame Außenpolitik für Europa überhaupt noch möglich ist.

Den Teilnehmern zufolge ist es essentiell, dass die EU einen Weg findet, eine gemeinsame diplomatische Sprache zu finden. Dr. Asiem El Difraoui drückte seine Besorgnis über das Signal aus, das der Brexit in den Mittleren Osten und nach Nordafrika sendet - der IS etwa interpretiere das als seinen Sieg und feiere ihn als Schwächung der gemeinsamen europäischen Front. Partikularinteressen etwa von Frankreich und Großbritannien würden sich über eine gemeinsame Europäische Politik durchsetzen - mit gravierenden Folgen für Europas südliche Mittelmeernachbarn. Er glaubt, dass den meisten Teilnehmern gar nicht bewusst ist, in welch heikler Situation sich Europa durch die erstarkenden rechtspopulistischen Bewegungen befindet. Nicht nur die europäischen Gesellschaften würden polarisiert, sondern auch das Mittelmeer zu einer Grenze, an der man keine Gemeinsamkeiten, sondern nur noch Unterschiede und Feindbilder sieht. Dabei, so El Difraoui, teilen wir viel mehr als das, was uns trennt.
Dr. Tobias Endler vom Heidelberg Center for American Studies sagte, dass Deutschland sich in der EU militärisch verstärken und eine prominentere diplomatische  Rolle in der Europäischen Außenpolitik spielen müsse.
Die Auflösung der zivilen Gesellschaft in Russland ist laut Barbara von Ow-Freytag, International Relations Advisor am Prague Civil Society Centre, nicht nur für das Land beschämend, sondern eine sehr gefährliche Entwicklung. Hier müsse die Unterstützung von Aktivisten und die Förderung von Demokratie und Menschenrechten im Vordergrund stehen sowie die Unterstützung einer aktiven und engagierten Zivilbevölkerung. Nur indem man diese Elemente fördere, könne der Demokratisierungsprozess in den Ländern der östlichen Partnerschaft weitergeführt und erfüllt werden.
Andreas Umland, Senior Research Fellow am Institut für Euro-Atlantische Zusammenarbeit in Kiew, scherzte: „Ich bin ein Flüchtling in der Ukraine und vor der mitteleuropäischen Langeweile nach Kiew geflohen.“ Dann teilte er seine Besorgnis über die „19.-Jahrhundert-Politik“ Russlands mit, dem eine imperialistische Denkweise zugrunde liege. Diese neue Geopolitik sei aber auch nicht die Politik des 20. Jahrhunderts, d.h. es sei weder eine Verlängerung des "Zeitalters der Extreme" (Hobsbawm) noch ist Putins Russlands eine neue UdSSR. Die russische Unterwanderung das Nuklearwaffensperrregimes durch Moskaus Entwertung des bekannten Budapester Memorandums von 1994 - vor allem im Zusammenhang mit Russlands Krimannektion - sei auf lange Sicht die vielleicht größte Herausforderung für die Menschheit. "
Daniel Gerlach, Chefredakteur des deutschen Nahost-Magazins „Zenith", kam auf die Türkei zu sprechen, das mittlerweile alle Kriterien erfülle, um der nächste gescheiterte Staat im Nahen Osten zu werden. Für die EU sei die Türkei der wichtigste und schwierigste außenpolitische Punkt. „Wenn die Türkei auseinanderbricht, werden alle Probleme und Krisen, die bisher vom Mittleren Osten ausgegangen sind, im Vergleich dazu wie ein kleines Vorspiel wirken", warnte er. Die Isolation der Türkei sei keine Lösung. Man müsse im Gegenteil eine Menge Geld in die Hand nehmen, medial viel Aufmerksamkeit auf die Türkei legen die Gesellschaft geradezu umarmen, alles andere würde desaströse Konsequenzen nach sich ziehen.
Can Dündar, ehemaliger Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet", ergänzte, dass die türkische Bevölkerung nicht mehr vertraue. Die Zustimmung zu einer EU-Mitgliedschaft sei von 80 % auf 30 % gefallen, was die radikalen Islamisten stärke. Das sei der Preis, den Europa zahle. Der Flüchtlingsdeal gebe Erdogan eine starke Hand für alles, was er in diesem Land tun möchte. Isolation sei jedoch eine weitere Gefahr und würde das Ende des Deals bedeuten. Trotz aller Bedenken udn Gefahren ist er dafür, die Verhandlungen nicht zu stoppen und Ankara zu weiteren demokratischen Reformen zu drängen.
Dr. Sylke Tempel merkte an, dass „Geopolitik nie verschwunden war", aber es gäbe keinen Namen für "nach dem Ende des Kalten Krieges". „Wir denken, dass alle so sein wollen wie wir Europäer, das aber hat sich als falsch herausgestellt. Bei der Sicherheits- und Auslandspolitik sei eine größere und klügere Integration möglich und wahrscheinlich auch „verkäuflich". Das sei der Grund, warum der größte Teil der EU-Mitgliedsstaaten für eine Zusammenarbeit ist, weil sie wissen, dass sie die Probleme nicht allein lösen können. Die EU brauche einen Apparat mit dem notwendigen strategischen Denken, dieser Apparat fehle in der EU jedoch.
Sedat Ergin, Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Hurriyet, sagte: „Einige unser Freunde glauben immer noch, der Putsch in der Türkei war eine Virtaul-Reality-Show. Aber das war es nicht." Die EU könne es sich nicht leisten, die Türkei zu verlieren, das wäre schädlich für die EU. Die USA und die EU würden den Ernst des Putschversuchs nicht begreifen. Die türkische Bevölkerung hatte erwartet, die türkische Demokratie zu stärken, aber dadurch, dass die EU keine Solidarität mit der Türkei gezeigt habe, habe sie den Einfluss auf die türkische Regierung und die Politiker verloren. Die EU habe das Trauma unterschätzt, das der Putsch in der türkischen Bevölkerung ausgelöst habe.
Der aserbaidschanische Journalist Emin Milli (Meydan TV), der wegen kritischer Äußerungen gegenüber der Regierung in seinem Heimatland im Gefängnis saß und seit 2011 in Deutschland im Exil lebt, sagte, dass autokratische Regimes im amerikanischen Wahlkampf Kandidaten mit sehr viel Geld unterstützen, die die demokratischen Strukturen zerstören wollen. Auch in Europa würden rechte Parteien mit viel Geld unterstützt. Die EU habe zu Beginn der 1990er Jahre versäumt, russische Demokraten zu unterstützen, Russland in eine Demokratie zu überführen. Russland habe die Möglichkeit, die Infrastruktur des Westens zu zerstören. In den Eurasischen Regionen sei die Installation unabhängiger Medienunternehmen mit neuen Geschäftsmodellen enorm wichtig, die mit sozialen Projekten gekoppelt seien.
In der EU gäbe es keine gemeinsame Außenpolitik, so Agron Bajrami, Chefredakteur von Kosovos größter Tageszeitung „Koha Ditore". Aber selbst wenn die EU eine gemeinsame Position erreichen sollte, wäre es nicht genug. Diese gemeinsame Position müsste auch alle Werte beinhalten, für die die EU steht. Hinsichtlich der Balkanländer nach dem Krieg und speziell hinsichtlich der Staatenbildung im Kosovo habe man Dingen zugestimmt, die nicht mit EU-Werten übereingestimmt haben. „Die EU umarmt korrupte Regierungen und Politiker, wann immer es opportun erscheint", so Bajrami.

Zusammenfassung
Insgesamt zeichneten die Teilnehmer auch außenpolitisch ein eher düsteres Bild von der gegenwärtigen Situation der EU. Die Länder sind gespalten, es fehle eine gemeinsame Außenpolitik, die EU sei macht- und kraftlos, das „sogenannte“ EU-Außenministerium sei eine schwache Institution, das sich niemals zu einer globalen Bedeutung entwickeln werde, und die Schwäche der EU stärke die NATO. Auch die Überzeugung, dass es Großbritannien stärken werde, wieder unter eigener Kontrolle zu agieren, während der Brexit die EU weiter schwäche, kam auf den Tisch, ebenso wie der Einfluss russischer Propaganda und überhaupt die Rolle Russlands und die Gefährdung, die davon ausgehe.
WDR-Chefredakteurin Sonja Mikich warnte, dass Russland durch Isolation nicht implodieren werde wie einst  die UdSSR und man deshalb den Dialog nicht aufgeben solle.

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