JOURNALISMUS ZWISCHEN POLITIK, PROPAGANDA UND GEFÄNGNIS IN ARMENIEN

Ara Harutyunyan aus Armenien, 23, hat sein Studium an der Caucasus School of Journalism and Media Management beendet und arbeitet derzeit als Freelancer für die NGO Chai Khana.


In unserem Land gibt es keine inhaftierten Journalisten. Das ist zwar lobenswert, wir sollten aber dennoch bedenken, dass das nicht heißt, dass wir eine freie Presse in Armenien haben. Selbstzensur ist ein wichtiger Faktor im Entscheidungsfindungsprozess von Journalisten und Redakteuren. Vor einer Veröffentlichung muss ein Journalist manchmal erst einmal bedenken: was kann mir oder meiner Familie passieren, was ist, wenn ich meinen Job verliere? Oder sie nehmen ihren ganzen Mut zusammen, um über etwas zu schreiben, was sie wirklich interessiert. Dann kann es sein, dass am Ende der Artikel nicht veröffentlich wird, weil die Hauptfigur des Artikels oder eine andere Partei sich einmischt.
Genau so eine Erfahrung musste ich machen, als ich an einem Artikel arbeitete, der dann nicht veröffentlicht wurde. Einer unserer Öko-Aktivisten erzählte mir, dass ein Oligarch, der auch Parlamentsabgeordneter und Mitglied des armenischen Nationalkongresses war, beabsichtigte, einen Supermarkt zu bauen und dafür die Bäume auf dem Baugrundstück fällen wollte. Ich begab mich mit meinem Kameramann dorthin. Der dort arbeitende Mann rief sofort den Oligarchen an, der dann höchst persönlich mit seinen Bodyguards erschien.
Er wollte uns überreden, das Material nicht zu veröffentlichen, denn er hatte bereits Probleme in einem anderen Stadtteil wegen eines weiteren, sich im Bau befindlichen Supermarktes. Er schlug uns vor, „Brüder” zu werden, was so viel hieß, wie mich und meinen Kameramann zu bestechen. Anschließend sprach er direkt mit dem Chefredakteur der Webseite, für die ich arbeitete, und es wurde entschieden, den Artikel nicht zu veröffentlichen.
Natürlich hätte ich, als ein Journalist, der Prinzipien und Arbeitsethik besitzt, meinen Job aufgeben müssen, aber das war keine einfache Entscheidung. Das Onlinemedium, für das ich arbeitete, gilt immer noch als eines der mehr oder weniger unabhängigen Medien in Armenien, trotz seiner starken Verbindungen zu den Oppositionsparteien. Ich bin überzeugt, dass die Situation in anderen Medienhäusern, die direkte Verbindungen zur Regierung unterhielten, noch schlimmer ist.
So blieb ich also in meinen Job, bis ich dank meines Studiums ins Ausland gehen konnte.
Die Medien Armeniens sind hauptsächlich durch die politischen Parteien kontrolliert. Versuchen wir, die Medienlandschaft Armeniens in drei Lager aufzuteilen: Da wären die, die durch die Opposition kontrolliert werden (und demnach auch keine unabhängigen Medien sind), diejenigen, die durch die Regierung beeinflusst werden, und jene, die, um zu überleben, woanders nach Finanzierungen suchen, etwa bei internationalen Organisationen, Sponsoren und anderen Geldgebern. So müssen wir uns eingestehen, dass wir keine wirklichen unabhängigen Medienhäuser in Armenien haben; denn selbst die, die finanzielle Hilfe von internationalen Organisationen bekommen, haben ihre eigene Agenda, wie zum Beispiel einen armenisch-russischen Weg für die Entwicklung des Landes.
Deshalb versuche ich für Medien zu arbeiten, die mehr oder weniger unabhängig und frei vom Einfluss verschiedener Finanziers sind. Momentan arbeite ich als Freelancer für RFE/RL´s Radio Free Europe / Radio Liberty Armeniens im Gebiet Nagorno Karabakh Stepanakert. Weiterhin arbeite ich noch freiberuflich für die NGO „Chai Khana” aus Tiflis, die Zivilengagement und unabhängigen Journalismus in der Region fördert.
Nach dieser kurzen Einführung in die armenischen Medien kann man sich die Rolle der Propaganda ebenso vorstellen. Seit es in den letzten Jahren immer mehr Onlinemedien gibt, die die traditionelle Berichterstattung ablösen, wird es für die Regierung immer schwieriger, die Inhalte – besonders in den sozialen Medien – zu kontrollieren. Aber die Propaganda der Regierung kommt im traditionellen Medium Fernsehen immer noch am stärksten zum Einsatz. Die Nutzer der sozialen Netzwerke und Journalisten sagen oft, dass das öffentliche Fernsehen ein Land zeigt, das so nicht existiert und fügen sarkastisch hinzu, dass sie in jenem Land gern leben würden. Besonders in den ländlichen Gegenden und Dörfern, in denen es kein Internet gibt, ist das Fernsehen die einzige Informationsquelle der Leute. Die Bevölkerung zahlt Steuern für ein unabhängiges öffentliches Fernsehen, stattdessen sieht es aber Nachrichten, in denen das wichtigste Thema Staatsbesuche des Präsidenten sind.
Ich hoffe trotzdem, dass wir eines Tages freie und unabhängige Medien in unserem Land haben werden. Ich glaube, dass eine freie Presse ein wichtiger Meilenstein ist auf dem Weg zu einem demokratischen Land. 

 

 Ara Hayrapetyan