JOURNALISMUS ZWISCHEN POLITIK, PROPAGANDA UND GEFÄNGNIS IN DEUTSCHLAND

Sophie Schriever aus Deutschland, 22, hat gerade ihr französosch-deutsches Bachelorstudium der Politikwissenschaften beeindet. Während des zweisprachigen Studiums verbrachte sie ein Jahr am  Institut d`Etudes Politiques in Aix en Provence.


Ich wurde 1994 in Deutschland geboren und habe demnach seit jeher in einem freien Land gelebt. Allerdings wurde nur wenige Jahre vor meiner Geburt nicht in allen Teilen Deutschlands Meinungs- und Pressefreiheit respektiert. Ich meine die Deutsche Demokratische Republik, einen Staat, der politische Feinde tagtäglich verhaftet und eliminiert hat. Seit der Auflösung der DDR und ihr Aufgehen in Westdeutschland können wir sagen, wir leben in einem freien Land, und eine freien Presse ist ein wichtiges Element in unserer Verfassung. Meine Gedanken wandern daher notwendigerweise in die deutsche Vergangenheit, wenn ich Journalismus mit Gefängnis assoziiere. Allerdings gibt es auch in liberalen Ländern wie Deutschland den Druck, möglichst neutral zu berichten, und das prominenteste Beispiel, das ich persönlich miterlebt habe, war das Attentat auf Charlie Hebdo in Paris am 7. Januar dieses Jahres.
Ich befand mich in meiner ersten Praktikumswoche beim ARD-Studio in Paris, als das Attentat verübt wurde und war in die gesamte Berichterstattung involviert. Sogar nachdem ich spät nach der Arbeit nach Hause ging, konnte ich die Gedanken an das Geschehen nicht abschalten. Die Ziele und Opfer dieses Anschlags waren Journalisten, Karikaturisten. Sie äußerten ihre Meinung und bezahlten mit ihrem Leben. Auch wenn dieser brutale Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung ein Extrem und nicht sehr repräsentativ ist, so ist es doch nicht nur ein Angriff auf das Leben von Menschen, sondern auch auf ein fundamentales Bürgerrecht. Die symbolische Tragweite dieses Geschehens wurde mir noch klarer, als ich die Reaktion der Franzosen erlebte. Am Mittwochabend kamen spontan Hunderte Pariser am Place de la République zusammen, ungeachtet dessen, dass die Täter noch auf freiem Fuß waren. Am Sonntag versammelten sich sogar noch mehr Menschen für den Marche de la République, um ihre Solidarität und Unterstützung mit den toten Journalisten zu bekunden. Ich verspürte den starken Drang, mitzulaufen und meine französischen Landsleute zu begleiten, die offensichtlich das Gleiche fühlten.
Ein Gespräch mit Pfarrer Laurent hat mich tief berührt. Ich fragte ihn, ob er keine Angst vor einem weiteren Angriff auf den Marsch habe. Er sagte mir. „Natürlich ist es möglich, dass dort ein Verrückter mit einer Kalaschnikow auf einem Dach steht. Aber wir müssen hingehen. Es geht um unsere Freiheit. Wenn wir zuhause bleiben, haben die Terroristen gewonnen.“ Diese Sätze symbolisieren die französische Haltung, diesen schockierenden Angriffen zu begegnen. Durch die pure Masse an Unterstützern demonstrierten die Franzosen, was ihnen Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet und drängten die Bedeutung des terroristischen Angriffs an den Rand.
Der Mordanschlag auf Charlie Hebdo ist ein Beispiel für eine äußere Bedrohung, Die Stärke der freien und stolzen französischen Nation hat diese aber überwunden. Die Bedrohung der Meinungsfreiheit kann aber auch von innen selbst kommen, Auch wenn unser demokratischen System nicht die Absicht hat, die Medien zu kontrollieren, so hat doch die Konstellation unserer Gesellschaft den Effekt, dass eine Form von Zensur stattfindet.
Journalisten, die aus politischen Hochburgen wie Berlin oder Brüssel berichten, müssen sich sicherlich manchmal entscheiden, entweder ihre volle journalistische Freiheit zu bewahren oder zusätzliche Informationen zu erhalten. Die Gründe für dieses Dilemma sind die Gespräche hinter verschlossenen Türen, in denen Politiker Journalisten mit wertvollen Informationen versorgen, gleichzeitig aber fordern, die Quelle dieser Information nicht mit zu veröffentlichen oder zumindest nicht in einen negativen Kontext mit der Quelle zu bringen. Die Konsequenz einer nicht abgesprochenen Veröffentlichung wäre die Verbannung des Journalisten aus diesen Kreisen hinter den Kulissen. Diese Kreise sind nur ein Knotenpunkt in dem vielfach verzweigten Netzwerk von Politikern, Managern und Journalisten. So muss man sich die Frage stellen, ob neutrale Berichterstattung möglicherweise mit dem Zugang zu Informationen zusammenhängt. Das Vernetzen beinhaltet nicht automatisch Falschinformationen, aber es ist unerlässlich, den Interessenkonflikt für Journalisten in dieser Situation einmal zu betrachten.
Heutzutage ist es nicht länger der Staat, der vorschreibt, sondern der Akteur, der in Besitz von Informationen ist. Die Macht innerhalb der traditionellen Machtstrukturen wie Militär und Wirtschaft hat sich verschoben hin zu den Informationen, die einen wichtigen Platz eingenommen haben. Die Haltungen in der Tagespresse in Frage zu stellen ist daher wichtig, besonders, wenn Akteure betroffen sind, die nicht zum Westen gehören. Die Krise in der Ukraine beinhaltet eine Tendenz der Entfremdung zwischen zwei Polen, der Westen auf der einen Seite und Russland auf der anderen. Die Berichterstattung der beiden Pole unterscheidet sich substantiell voneinander, was gleichzeitig eine Bedrohung für die Sicherheit darstellt. Das wird nun in der Ukraine sichtbar, wo der Konflikt bereits in einen Krieg innerhalb Europas eskaliert ist, der nicht nur ein Konflikt zwischen ukrainischen politischen Lagern ist, sondern dazu noch Europa und Russland miteinbezieht. Gegenseitige Achtung und das Vermeiden von Propaganda in Nachrichten würde sicherlich die Auseinandersetzung bremsen, vielleicht sogar lösen.

 

 Sophie Schriever