JOURNALISMUS ZWISCHEN POLITIK, PROPAGANDA UND GEFÄNGNIS IN WEISSRUSSLAND

Kystina Shveda aus Weißrussland, 26, hat gerade ihr Masterstudium des Interaktiven Journalismus an der City University London beendet, wo sie Datenjournalismus und Community Management studiert hat.


Mit meiner Arbeit als Journalistin versuche ich, den Menschen aus den postsowjetischen Ländern (aus meiner Heimat Weißrussland und meiner zweiten Heimat Ukraine) und Großbritannien (dort habe ich ein Jahr Journalismus studiert) dabei zu helfen, sich trotz kultureller Differenzen und Informationskriegen besser zu verstehen.

Obwohl der Kalte Krieg kurz nach meiner Geburt endete, kann die mentale Mauer zwischen Ost und West immer noch wahrgenommen werden, und folgt man den Ereignissen der neueren Geschichte, so kann man glauben, es wird noch schlimmer werden.
Für den Westen ist es schwierig zu verstehen, warum die Ukrainer eine Revolution anzettelten und warum einige Menschen der postsowjetischen Länder sie nicht darin unterstützt haben. Hier kam die russische Propaganda voll zum Einsatz, die Nachrichten verzerrte und den Konflikt verstärkte.
Ähnlich wie auch viele EU-Politiker haben die westlichen Medien über den Konflikt zwischen der modernen westlichen und nostalgisch russischen Bevölkerung eher neutral berichtet. Margo Gontar, Journalist bei Stop-Fake, einem ukrainisches Verifizierungsprojekt, erzählte mir: „Die berühmte Objektivität der Europäer hat einen Haken: es wird nicht bedacht, dass einige Länder es auch gegen Europa benutzen könnten. Die unehrlichen russischen Medien verbreiten ihre Propaganda auf allen möglichen Wegen, während die europäischen Journalisten im Endeffekt unzureichende Erklärungen liefern. Einige Leser springen direkt zu den Kommentarspalten, weil sie herausfinden wollen, was „wirklich“ passiert ist. Genau dort kommen die pro-russischen Bots zum Zug, die alles „in Farbe“ erklären.“
Eine verdeckte Ermittlung der „Novaya Gazeta“ sowie Enthüllungen von Whistleblowern an den „Guardian“ haben erwiesen, dass die neue Waffe im russischen Informationskrieg die sogenannten „Troll-Fabriken“ sind, ihr Hauptsitz ist in der Savushkina Straße 55 in Sankt Petersburg. Die Armee der bezahlten Bots bloggen rund um die Uhr, kreieren Internetmemes und posten Kommentare in russischen und internationalen Medien. In meinem Abschlussprojekt für den Master im interaktiven Journalismus in London untersuchte ich die Kommentarspalten der Artikel über die Ukraine im „Guardian“. Die Analyse hat gezeigt, dass 23 Prozent der hinterlassenen Kommentare innerhalb eines Monats von nur 15 Nutzern gemacht worden sind. Das waren höchstwahrscheinlich bezahlte russische Trolls, aber auch ihre Gegenspieler.
Durch eine Analyse der Kommentare der aktivsten Nutzer fand ich heraus, dass die Hälfte der Kommentare ein ähnliches Muster aufweisen, wie zum Beispiel ein schlechtes Englisch, Anschuldigungen statt Argumenten, falsche Links, frisch angemeldete anonyme Nutzerprofile, Kommentare nur zu Artikeln über Ukraine und Russland. Die Schlüsselwörter der anti-Ukrainischen Narrative sind „Kiev junta/puppets”, „Ukrainian fascists/Nazis”, „Bandera/benderovets/radicals/nationalists”, „Russian world”, „okraina” anstatt Ukraine (was so viel wie Grenzgebiet des Reiches bedeutet), „Novorossia” anstelle Donbas oder Ost-Ukraine, das eine Beleidigung in Richtung NATO, USA, Obama sein soll.
Die andere Hälfte der sehr aktiven Nutzer lieferte logischere und begründetere Argumente. Diese „Ritter der Wahrheit“ scheinen die einzige Opposition gegen die reiche russische Propaganda-Maschine zu sein. Sehr wahrscheinlich ist diese Schattenarmee eine andere Form des ehrenamtlichen Engagements aus der Ukraine (der größte positive Wechsel in diesem Land ist von Ehrenamtlichen erwirkt worden). Für mein Projekt habe ich Menschen von verschiedenen Projekten interviewt, die die russische Propaganda konfrontieren.
Eine ähnliche Situation mit Trolls haben wir in meinem Heimatland Weißrussland. Die Artikel über die Ukraine auf dem größten Newsportal Weißrusslands TUT.by erhält viel mehr Kommentare als irgendeine andere Geschichte. Anders als der „Guardian“ oder andere englischsprachige Medien moderiert TUT.by seine Kommentarspalten nicht, was nicht selten in aggressiven Konfrontationen und Provokationen endet.
In einem anderen Projekt habe ich untersucht, warum die traditionell als freundlich und tolerant geltenden Slaven aus dem ganzen Postsowjet-Territorium nun in zwei gegensätzliche ideologische Lager gespalten sind: pro-russisch (pro-sowjet) und Pro-Ukraine (pro-westlich). Ich begann zu analysieren, wie der Krieg in der Ukraine (und russische Lügen) das Volk geteilt hat, musste aber schnell merken, dass der Prozess schon vor langer Zeit begonnen hat.
Ich habe gewöhnliche Leute aus beiden ideologischen Lagern interviewt und bemerkt, dass alle ihre Gründe haben. Einige vermissen den „guten, bescheidenen Charakter“ des sowjetischen Menschenschlags, die verlorene Reisefreiheit und die freien sozialen Leistungen. Andere erinnern sich an die UdSSR-Kultur als Ausschluss der „Abweichung von der Norm“. Viele haben Erinnerungen an unterdrückte Vorfahren.
Weiterhin sind dank der Umsiedlung der Bevölkerung, ja ganzer Nationen in Zeiten der Sowjetpolitik, Länder wie Weißrussland sehr multinational und gemischt. Auch das ist ein weiterer Grund, warum die Meinungen in dem Land so gespalten sind.
Wie die öffentliche Meinung, so ist auch Weißrusslands offizielle Position nicht definiert. Präsident Lukashenko tanzt seit über einem Jahr zwischen beiden Feuern; er versucht Russland zufriedenzustellen, gleichzeitig Freund mit der Ukraine zu bleiben und eine bessere Beziehung zum Westen aufzubauen. In einer Rede deutete er an, dass Putin ein Diktator sei und fordert eine amerikanische Intervention in der Ukraine. In einer anderen Rede definiert er Weißrussland als Teil der „russischen Welt“. In diesem Tumult ziehen es die weißrussischen Medien vor, neutral zu bleiben (und so der russischen Propaganda eine Stimme zu geben). In der Zwischenzeit wird die Pressefreiheit in diesem Land mehr und mehr eingeschränkt (so werden beispielsweise Webseiten blockiert). Nur für alle Fälle. Schließlich sind in diesem Jahr ja noch Präsidentschaftswahlen.

 

 

 Krystina Shveda